Huch, wir sind ja links!

Trololo...

[Wir müssen] alle Verhältnisse umwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.
–Karl Marx, Kryptopirat

Anlässlich unserer Wahlallianz zur Europawahl mit dem Wandel und –OMG!– der KPÖ ist die Diskussion wieder entbrannt, ob die Piratenpartei denn links sei: Ja, und das ist gut soSozial ja, wirtschaftlich aber eher liberal? Die Piratenbasis kennt sowieso keine Fragestellung, die sie nicht mit einer Abstimmung lösen (?) kann. Während die noch läuft, mal meine Sicht der Dinge:

Wir sind keine Internetpartei, wir haben im Internet einen neuen Gesellschaftsentwurf gefunden.
Florian Unterburger, ehemaliger Vorsitzender der sächsischen Piraten

Die Piraten finden das Internet ja bekanntermaßen ziemlich super. Im Netz haben wir gelernt, wie Menschen auf Augenhöhe global zum Vorteil aller kollaborieren. Wie Information, Wissen und Kultur durch Verbreitung und dadurch, das jemand auf ihnen weiter aufbaut, ihren vollen Wert entfalten. Wie wir die historisch gewachsene Macht von Wegzoll verlangenden Mittelspersonen großteils umgehen können. Darin sehen wir gesellschaftliche Chancen, die wir fördern wollen, und deren Lektionen wir in den alten, verknöcherten Institutionen, die uns umgeben, umsetzen wollen: In Parteien, Firmen, Staaten, in der Verwaltung usw.

Gleichzeitig gibt es technologische Zusammenhänge, die wir ablehnen und bekämpfen: Staaten überwachen ihre Bürger ohne Verdacht, Konzerne handeln ohne Einverständnis mit persönlichen Daten.

Wie haben wir nun die schlechten von den guten Folgen des Fortschritts unterschieden?
Na: Mit Ideologie. In unseren Grundwerten haben wir unsere Ideologie umrissen: Mündigkeit, Mitbestimmung und Teilhabe für alle. Wir wollen Menschen Potenziale eröffnen, treten gegen Diskriminierung ein und verteidigen Menschenrechte – und zwar nicht nur, weil ein paar Leute mehr in unserer Liquid Democracy zufällig dafür waren, als dagegen, sondern weil das unserem gemeinsamen Weltbild und Wertegerüst entspricht.

Technologien sind nicht neutral. Wir brauchen eine politische Vision für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft.
Amelia Andersdotter, Abgeordnete zum europäischen Parlament der schwedischen Piratenpartei

Die Piraten haben längst erkannt, dass es zu wenig ist, sich oberflächlich mit technischen Entwicklungen und ihren Chancen und Gefahren zu beschäftigen. Davon untrennbar sind die Fragen: Wer profitiert von diesen Möglichkeiten, und wer nicht? Wer kann dabei mitreden und mitgestalten, und wer ist bestenfalls passive Konsumentin bzw. passiver Konsument? Wer kann sich die Teilhabe an der schönen neuen Welt leisten, und wer nicht? Auf wessen Rücken wird sie überhaupt erbaut? Wem wird dadurch Macht genommen und wem verliehen? Wer hat überhaupt ganz andere, akutere Sorgen?

Anhand dieser Fragen sind wir über die ehemaligen Kernthemen hinausgewachsen und haben auch die „analogen“ Vorbedingungen für die faire Verteilung von Fortschritt ins Programm aufgenommen: Bildung, bedingungslose soziale Absicherung, eine möglichst diskriminierungsfreie Gesellschaft, eine Wirtschaft, in der die freien Menschen vor den freien Märkten kommen (also in der niemand abhängig ist, an der alle mündig und möglichst ohne Macht- und Informationsasymmetrie teilnehmen können), u.v.m.

Diese Verschränkung von technischen und sozialem Fortschritt ist Techno-Progressivismus. Es geht um Wechselwirkungen wie diese:

Using technology to deepen democracy, using democracy to ensure technology benefits us all. Dale Carrico

Die noch nie dagewesene Vernetzung der Menschheit gibt uns einen Fuß in der Tür des vorherrschenden Systems. Free culture, open source, crowdsourcing, crowdfunding, nichtkommerzielle internationale Kollaboration, Makerspaces, peer-to-peer-Architekturen – diese Netzphänomene sind progressive U-Boote innerhalb eines neoliberalen, unfairen Systems.

Aber Technologie allein wird unsere gesellschaftlichen Probleme nicht lösen, so wie ein Verschlüsselungs-Wettrüsten nicht die Antwort auf ausufernde Überwachung sein kann. Dazu braucht es politische, gesellschaftliche und institutionelle Weichenstellungen:

Without institutional innovation, benefits of technical innovation are likely to remain hyperconcentrated at the top. Radical technologies will need equally radical new institutions to bring forth their maximum, most disruptive potential.
Umair Haque

Die Piratenpartei steckt keine irrationalen Hoffnungen in den Heilsbringer Technologie – sondern ist vielmehr jener Arm dieser Netzbewegung, der sich eben nicht mehr mit diesen Alternativen an den Rändern des Systems begnügt. Wir sind die, die nicht mehr ihre eigene Utopie in irgendeiner abgelegenen Ecke bauen, die dann hauptsächlich einer digitalen Elite zugute kommt, und die DAUs soll halt den Code forken oder uns gestohlen bleiben. Wir sind nicht netzliberal oder gar netzlibertär. Die Piratenbewegung will fairen Fortschritt, freien Zugang zu Information, Mitbestimmung aller, die Wissensallmende usw. mainstream machen. Wir tragen diese Visionen in Parlamente, um die Rahmenbedingungen dafür politisch zu sichern, die Teilhabe aller daran zu garantieren, und schließlich die Funktionsweise des Systems selbst nach ihrem Vorbild zum Wohle aller zu verändern.

Dieser Anspruch macht uns links.

Manche Mitglieder mögen sich mit der Rhetorik klassisch linker Ideologien nicht identifizieren, auch wenn sie die dahinter liegenden Ideale unterstützen. Wir haben einen anderen theoretischen Unterbau als die meisten Linken, haben nicht dieselben toten Autor*innen gelesen und sind von Diskussionen über ideologische Detaildifferenzen (wie sicher auch viele Linke) schnell gelangweilt. Ganz sicher nichts anfangen können wir mit jeglicher extremen Ausprägung von Kollektivismus. Wirtschaftlich haben wir einen egalitär liberalen Flügel, wollen aber hauptsächlich moderne Alternativen zu althergebrachten linken und liberalen Positionen entwickeln. Wir haben auch im Gegensatz zu manchen im linken Spektrum wenig missionarischen Anspruch, Menschen erklären zu wollen, wie man richtig zu leben hat, sondern konzentrieren uns auf die Sicherung positiver Freiheiten. Einige in unseren Reihen haben bedauerlicherweise noch ein etwas privilegienblind kalibriertes Weltbild.

Aber wenn man uns einordnen will, oder wenn wir uns einordnen wollen – dann sind wir aus meiner Sicht zweifellos links. Ohne Scheuklappen, aber trotzdem überzeugt.

Das sollten wir Pirat*innen ebenso anerkennen, wie jene systemkritischen Kräfte, die ähnliche progressive und egalitäre Ziele verfolgen. Wir sind Verbündete im Kampf um eine bessere Welt für alle Menschen. Und gemeinsam sind wir stärker.

14 thoughts on “Huch, wir sind ja links!

  1. Das ist nicht links. Chancengleichheit ist eine wesentliche Vorausetzung für eine funktionierende Marktwirtschaft, alles andere führt zu Monopolismus und Oligarchie.

    Das Bündnis mit der KPÖ mit einem OMG beiseite zu wischen, halte ich übrigens für ziemlich daneben. Ausrechnet die Piraten machen gemeinsame Sache mit der wahrscheinlich konservativsten Organisation im österreichischen Parteinspektrum, die es bis heute an den Riten der 1920er Jahre hängt.

    • Das tun sie sehr viel weniger, als du befürchtest – wetten? Ich habe die KPÖ in den letzten Monaten (auch durchaus zu meiner eigenen Überraschung) als ideologisch klar positionierte, aber tatsächlich pragmatische und undogmatische soziale Partei kennengelernt.
      Aber wie dem auch sei: Das gemeinsame Programm sowie die gemeinsamen SpitzenkandidatInnen müssen jedenfalls von allen drei Parteien abgesegnet werden – da wird nichts aus den 1920er Jahren zu finden sein.

  2. Danke Christopher, für diesen Artikel. Gefällt mir sehr gut!

    Mir gefällt auch das Bündnis. Mehrere kleine Parteien, die sozial dasselbe wollen, sind einfach stärker. Und über so kleinliche Wickel, ob man sich nun ein bisschen links, links, gar nicht links bezeichnet, und wie konservativ man die KPÖ sieht – während Leute darüber streiten, machen die Großparteien weiter wie bisher und lachen uns aus.

    Weiter so! ;-)

    Mc Claudia

  3. Die Piraten sind Geschichte!
    Durch diese Allianz hat sich diese Partei von allen Grundsätzen endgültig verabschiedet.
    Die Piraten waren NIE Links, NIE Rechts, sondern legten immer Wert darauf sich zu keiner Politischen Seite zugehörig zu fühlen.
    Das ist mit der KPÖ-Wandel-Piraten Allianz Geschichte!

    R.I.P

    • Wenns um Wirtschafts und Sozialpolitik geht muss man sich halt irgendwie positionieren. Und da kann man sich eigendlich nur auf die Seite des Kapitals oder der Mehrheit der Bevölkerung stellen. Wobei es da natürlich Abstufungsmöglichkeiten, Mitte usw gibt.

      Wenn man Wirtschaftspolitik macht ist diese in ihrem Endergebniss halt immer Links, Liberal, Progressiv, Sozial Libertär oder Neoliberal orientiert.

      Wenn man da 2 Gruppen in einer Partei hat die unterschiedliche Auffassungen vertreten setzt sich am Ende halt eine durch.

    • nö. nur die piratenpartei die unpolitisch sein wollte und sich nirgends positionieren will wo es relevant wird ist geschichte. und das ist gut so. endlich passiert eine politische richtungsdebatte und eine positionierung. mit der wie sie im text oben beschrieben wird kann ich sehr gut leben. ich hatte die partei schon aufgegeben, aber wenn ich solche texte lese krieg ich wieder zuversicht dass das was wird. es werden wohl 30% der mitglieder (zumindest in deutschland) abspringen und die wahlergebnisse werden dadurch erstmal sicher nicht besser wenn man die hosen runterlässt und nicht nicht mehr projektionsfläche für jeden ist. aber früher oder später musste das nach dem hype eh passieren. umso wichtiger finde ich dass man taktische bündnisse mit anderen parteien eingeht, wenn es thematisch passt wie ihr es in österreich gerade macht. ich wünsche euch viel glück dabei und drücke die daumen :) das wird schon.

  4. Pingback: Flaggengate, Bombergate, Nixgate – Gates noch?gummada | gummada

  5. Pingback: Piraten statt Angst. | TheCitizen.de

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