Wer braucht die Piraten noch? Das ZIB24-Interview jetzt in ultrakurz und extralang

Zu Halloween um Mitternacht durfte ich durch ein Fernsehstudio geistern – hier das Video.

Was ein anonymer YouTuber daraus remixed hat:

Dem Aufruf will ich mich anschließen – mit der folgenden fiktiven Variante des Interviews mit mehr ausreden lassen, nachdenken können, ein bissl weniger Klischees und dafür mehr weiterführenden Links sowie Feedback-Möglichkeit:

Wie es ablaufen hätte können…

Journalist: Auf Ihrem T-Shirt steht: “Leichter gesagt als getan”. Sind Sie Realist?

Pirat: Utopisch in der Zielsetzung, realistisch im täglich zu erwartenden Fortschritt dorthin. Wir versuchen Dinge, die so noch nie zuvor probiert wurden: Wir wagen mehr Demokratie, mehr Transparenz, weniger Hierarchie, den Einsatz ganz neuer technischer Mittel, und so weiter.

Dass wir dabei anfangs ab und zu Fehler machen und auf die Nase fallen, ist zu erwarten. Ohne Risken einzugehen, kann man nichts Neues machen. Wichtig ist, dass wir es schaffen, aus unseren Fehlern zu lernen. Wer sich unsere Entwicklung der letzten Monate genauer ansieht, kann guter Hoffnung sein.


Journalist: Warum machen Sie plötzlich auf Politiker?

Pirat: Wir machen nicht auf Politiker, wir machen Politik – und zwar, weil wir uns von der jetzigen Politik weder vertreten noch verstanden fühlen. Wir sind keine Profis, aber das ist gut so – hinter uns steckt kein reicher Mann, keine Insider-Connection und kein ausgeklügelter Masterplan. Die Piraten sind eine globale Bewegung ehrenamtlich arbeitender Idealistinnen und Idealisten, die die Möglichkeiten und Chancen geänderter gesellschaftlicher und technischer Umstände erkannt haben, die die althergebrachten Parteien immer noch verschlafen.

Oder meinten Sie mich persönlich? Sie haben in Ihrem Beitrag zuvor durchaus einige Dinge angesprochen, die in den letzten Monaten schlecht liefen. Die habe auch ich gesehen, daher bringe ich mich seit dem Sommer möglichst konstruktiv ein. Ärgern und Raunzen bringen niemanden weiter, nur das Bessermachen zählt.


Journalist: Bleiben wir gleich beim Thema Mitmachen. Die große Gefahr ist, dass so viele mitreden, dass am Schluss nur noch Geschwätz herauskommt.

Pirat: Diese Gefahr besteht bei der direkten Demokratie, wo alle bei allem mitreden sollen. Wir setzen aber die Liquid Democracy ein, bei der man sich je nach Kompetenz und Motivation bei unterschiedlichen Themen entweder direkt einbringen oder repräsentativ vertreten lassen kann. In einem wochenlangen, mehrstufigen Prozess kristallisieren sich dabei aus vielen Einzelbeiträgen und Vertrauensbekundungen (Delegationen) die besten Lösungen heraus. Soweit die Vision, der wir uns gerade Schritt für Schritt nähern.


Journalist: Ihr Parteiprogramm ist derzeit beliebig. Da ist für jeden was dabei. Viele Sachen fordern andere auch. Warum soll man Sie wählen?

Pirat: Die Eckpunkte unseres Programms und das dahinterliegende Weltbild sind klar – aber damit ich Ihnen das darlegen kann, müssen Sie mich ausreden lassen.

Wir wollen eine Welt, in der alle Menschen sich frei entfalten und mitbestimmen können.

Wo entfalten? In einer freien Gesellschaft und einer Wirtschaft, die allen gleiche Chancen ermöglicht. Wo mitbestimmen? In einer echten Demokratie, die allen gleiche Macht zusichert und daher keinen Platz für Korruption und den unfairen Einfluss mächtiger Partikularinteressen lässt. Dazu gibt es drei große Vorbedingungen:

  • Sich politisch einbringen und wirtschaftlich frei handeln kann nur, wer sozial abgesichert ist, nicht systematisch benachteiligt wird und nicht um sein Überleben kämpfen muss. Daher verlangen wir ein bedingungsloses Grundeinkommen.
  • Mündig und verantwortungsvoll handelt nur, wer gebildet und informiert ist, daher sehen wir Bildung als Menschenrecht, Transparenz als Grundbedingung und die freie Verbreitung von Wissen und Information als riesige Chance.
  • Möglich macht dies zu einem signifikanten Anteil moderne Technologie, die Menschen vernetzt. Unsere Bürgerrechte in der Informationsgesellschaft sind derzeit unter Beschuss. Wir müssen sicherstellen, dass diese Technologien nicht autoritär gegen die Einzelnen eingesetzt werden – etwa in Form der totalen Überwachung oder der staatlichen oder wirtschaftlichen Zensur –  sondern dass sie ihr transformatives Potential zugunsten aller entfalten können.

Echte Demokratie, garantierte Teilhabe, Bildung für alle und freie Netze – dafür stehen die Piraten. Mit den Grundwerten, die uns zu diesen Kernpunkten geführt haben, bilden wir uns darüber hinaus auch zu allen tagespolitischen Themen eine Meinung.

Würden andere Parteien diese Forderungen auch glaubwürdig erheben, hätten wir Piraten mehr Freizeit – dem ist leider nicht so. Andere Parteien haben viel zu sehr den Fortschritt verschlafen, es sich im Status Quo bequem und sich von Mächtigen abhängig gemacht.


Journalist: Wie soll ein bedingungsloses Grundeinkommen finanzierbar sein?

Pirat: Wir haben Rechnungen angestellt. Die wichtigste Erkenntnis ist: Wie sich die Gesellschaft ändern wird, wenn man nicht mehr arbeiten muss sondern kann, ist das größere offene Fragezeichen als die anfängliche bzw. theoretische Finanzierbarkeit. Daher fordern wir dazu die Durchführung von Feldversuchen und Studien.

Ein Grundeinkommen von 800 Euro monatlich für alle entspricht etwa einem Drittel des BIP. Der Staat schluckt jetzt schon über 50% des BIP – völlig aus der Welt ist diese Größenordnung also nicht. Es entstehen auch signifikante Einsparungen in der Bürokratie.


Journalist: Bürokratiereduktion wollen eh schon alle Parteien seit Jahren, und es funktioniert nicht.

Pirat: Da haben Sie mich falsch verstanden. Ich meinte nicht eine generelle Verwaltungsreform (bei der wir den Fokus übrigens noch vor der Kostenreduktion zuallererst auf Transparenz legen), sondern die konkreten Verwaltungseinsparungen im Sozialsystem, die ein bedingungsloses Grundeinkommen mit sich bringt, wenn viele Sozialleistungen, Bedarfsprüfungen und Arbeitslosenstatistik-Schönungsmethoden wegfallen.

Aber keine Frage: Nur mit Ausgabenkürzungen wird das trotzdem nicht funktionieren. Eines unserer Modelle sieht daher eine Erhöhung der Einkommenssteuer auf gut 50% vor, die aber natürlich bei niedrigen Einkommen durch die 800 BGE-Euro wieder wettgemacht wird. Dazu kommen Kapitalertragssteuern zum gleichen einheitlichen Steuersatz sowie Erbschafts- und Finanztransaktionssteuern.


Journalist: Sie fallen derzeit durch Saufgelage, Schlägereien, Rechtsradikale, gegenseitiges Mobbing und  Zersplitterung auf. Wie soll das besser werden?

Pirat: Uff, das war jetzt ein Bündel aus Falschmeldungen, Vorurteilen, aufgeblasenen Randnotizen und echten Problemen. Lassen Sie mich das mal aufschnüren.

Es gibt und gab keine Rechtsradikalen in der österreichischen Piratenpartei. Solche Ideologien wären mit unseren Grundwerten komplett unvereinbar.

Es gibt auch keine nennenswerte Zersplitterung. Diesen Eindruck erweckten zwei vergangene Vorkommnisse:

  • Die Tiroler Piraten haben es nach einem Streit zweier Hitzköpfe, die beide nicht mehr in den Parteien sind, vorgezogen, sich als autonome Organisation aufzustellen. Das Verhältnis ist jedoch mittlerweile wieder bestens, wir unterstützen einander in allen Belangen.
  • Ein Ex-Vorstandsmitglied fühlte sich zu wenig bauchgepinselt und wollte unbedingt den Oberchef machen, selbst um den Preis, dass die ihm nun stramm unterstehende Partei ihre Generalversammlung problemlos in einer Telefonzelle abhalten kann. Für die Piraten war das kein spürbarer Verlust.

Was es sehr wohl gab und teilweise immer noch gibt, ist sinnloser Streit und öffentlicher Austausch persönlicher Befindlichkeiten. Einerseits war das eine Folge von Fehlbesetzungen diverser Ämter, da es stets zu wenig Kandidaten gab, die Verantwortung übernehmen wollten – so wurde so manche Katze im Sack gekauft, die, daraus entlassen, dann auch mal kratzte. Andererseits macht unsere Transparenz interne Querelen sichtbar, die bei anderen Parteien hinter verschlossenen Türen ablaufen. Wir müssen auf jeden Fall noch an unserer Streitkultur arbeiten – aber die Transparenz an sich empfinden wir insgesamt als Stärke.

Fakt ist: Heute geht es den österreichischen Piraten besser als je zuvor. In den letzten Monaten haben wir Meinungsbildungs- und Programmfindungsprozesse verbindlich in Betrieb genommen, die bereits gleichzeitig demokratischer und effizienter funktionieren als die aller anderen Parteien – dabei sind wir da erst am Anfang. Wir haben in Folge ein täglich wachsendes Programm. Wir haben mehr aktive Mitglieder als jemals zuvor. Wir haben erstmals Landesorganisationen in allen Bundesländern (bzw. in Tirol die Schwesternpartei). Wir treten in einem Monat in Graz erstmal ernsthaft zu Wahlen an. Und wir haben das bisher beste Team an Amtsträgerinnen und Amtsträgern, falls ich das selbst so sagen darf.


Journalist: Im Vorstand sind vier Männer und eine Frau, sie kommen alle aus Wien und Niederösterreich außer dem, der aus Kärten kommt, und das Durchschnittsalter ist 40. Ist das ein Signal an aufgeschlossene junge Wähler? Warum sollte Sie eine junge Tirolerin wählen?

Pirat: Worauf wollen Sie hinaus? Entsprechen wir Ihren Klischeevorstellungen jetzt zu viel, zu wenig, oder beides gleichzeitig? Wir sind für alle offen und machen Politik für alle. An der strukturellen Diskriminierung außer- und innerhalb der Partei, die zum Ungleichgewicht der Geschlechter und anderer Merkmale führt, müssen wir auf jeden Fall noch arbeiten. Das Durchschnittsalter sollten sie aber nochmals nachrechnen


Journalist: Mea culpa. Wieviel bei der nächsten Nationalratswahl?

Pirat: Den Einzug locker schaffen: Das ist die erste Etappe. Dann fängt die Arbeit aber erst richtig an – wir überlegen schon fleißig, wie man auch als kleine Oppositionspartei die Welt ganz konkret verbessern kann.


Journalist: Macht Ihnen Frank Stronach Sorgen?

Pirat: Seine guten Umfragewerte sind ein Zeichen, dass die Leute frustriert sind – das ist verständlich. Aber die Menschen müssen vergleichen: Hier kommt der reiche Onkel aus Übersee und verspricht, alle Probleme zu lösen. Dazu kauft er sich eine BZÖ-Abspaltung aus Opportunisten, die sich bereits Jahre lang im Parlament in Anonymität und Schweigen gehüllt haben sowie durch ihre Tatenlosigkeit geglänzt haben. Das ist nicht glaubwürdig. Die Piraten sind im Gegenzug dazu eine breit aufgestellte, basisdemokratische Bewegung. Es wird nicht funktionieren, auf den großen einzelnen Retter zu hoffen, der alles besser weiß.


Journalist: Was macht Sie da so sicher?

Pirat: Lebenserfahrung bei selbstorganisierten und innovativen Vorhaben im Netz und abseits davon: Die Realisierung, dass vernetzte Menschen gemeinsam Werke vollbringen können, die niemand alleine schafft. Die Erfahrung, dass ein komplexer Plan für eine Neugründung in einer Innovationsbranche (wie sie auch die Politik sein sollte) in der Praxis das Papier nicht wert ist, auf das die hübsche Fantasiewelt gemalt wurde. Die Überzeugung, dass man sich etwas wie “Wahrheit” höchstens iterativ und stets dazulernend annähern kann und alles immer eine unzulässige Vereinfachung bleibt. Das wunderbare Privileg, selbstbestimmt leben zu können. Die Beobachtung, dass Macht korrumpiert und Personenkult irreleitet.


Journalist: Lebenserfahrung hat Frank Stronach auch.

Pirat: Das ist wahr, aber aus welchem Jahrhundert? Als er so alt war wie ich, war die Welt noch eine andere. Er mag Erfahrung haben, wie man von oben herab Dinge bestimmt – wir aber haben Erfahrung, wie man Dinge gemeinsam gleichberechtigt und flexibel organisiert. Politik sollte sich in die Zukunft richten.

Journalist: Das leuchtet ein. Haben Sie ein Mitgliedsformular dabei? ;)

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