Das FemCamp ist eine queer-feministische Unkonferenz („BarCamp“), die diesen Freitag und Samstag in Wien stattfindet.
Es geht dabei darum, „einen inklusiven und möglichst sicheren Raum [zu] schaffen, um gemeinsam zu diskutieren, sich zu vernetzen, Freundschaften zu knüpfen, Horizonte zu erweitern, neue Ideen und Projekte sprießen zu lassen und Spaß zu haben“ und „insbesondere im Alltag von Diskriminierungen betroffene Menschen ein[zu]binden“.
Ist das denn „nötig“?
Die Frage, ob ein BarCamp mit so einem Schwerpunkt nötig sei, sollte sich einerseits gar nicht stellen – wenn sich Leute finden, die es organisieren, gibt es offensichtlich Bedarf, der keine weitere Rechtfertigung benötigt. (Andere BarCamps für bestimmte Zielgruppen hinterfragt auch niemand.) Andererseits zeigt ein schneller Blick auf die Anmeldeliste der letzten generellen BarCamps in Wien eine (anhand der Vornamen ungenau geschätzte) Frauenquote von nur 23% und 15%, und es sind von vergangenen generellen BarCamps sexistische Vorfälle bekannt, auf die unzufriedenstellend reagiert wurde. Also: Ja, ist es.
Wie schafft man einen inklusiven Raum?
Um einen inklusiven Raum zu schaffen, muss man manchmal Menschen ausschließen. Nein, das ist kein Paradoxon. Offenheit ist kein binärer Zustand und lässt sich nicht nur an niedergeschriebenen Regeln messen. Wenn es eine Minderheit an Personen gibt, die durch ihr Verhalten potenziell Menschen von der Teilnahme abschrecken, ist eine Veranstaltung offener, wenn sie nicht daran teilnehmen. Umgekehrt: Wenn eine Gruppe oder Veranstaltung „offen“ für destruktive oder andere Menschen ausschließende Teilnehmende ist, ist sie nur mehr am Papier offen – die faktische Einschränkung hat man an diese Personen delegiert.
Keine eigenen Regeln aufzustellen, heißt die vorherrschenden Regeln der Gesellschaft zu übernehmen – vor allem die ungeschriebenen. Ein safe space soll aber eine bestimmte Gruppe genau vor diesen als unfair erlebten ungeschriebenen Regeln beschützen und wird daher erst dadurch hergestellt und gesichert, wenn jene Verhaltensweisen und damit Personen ausgeschlossen werden, die ihn gefährden könnten.
Diese Maßnahmen müssen auch nicht immer so gestaltet und formuliert sein bzw. gehandhabt werden, dass sie die uneingeschränkte Zustimmung jener bekommen, die von den damit entgegenzuwirkenden Problemen nicht betroffen sind. Sie können, ja müssen vielleicht sogar ihnen gegenüber auch mal unfreundlich sein.
Ausgeschlossen werden ist für Schwächere
Das kann für die Betroffenenen natürlich überraschend, verstörend und auch schmerzhaft sein. Vor allem, wenn sie nicht gewohnt sind, irgendwo ausgeschlossen zu werden. Oder einfach felsenfest überzeugt sind, zu den Guten™ zu gehören. Das heißt trotzdem nicht, dass ihnen dadurch Unrecht angetan wurde. Ihre Interessen besonders zu schützen und im Zweifelsfall zu ihren Gunsten zu entscheiden ist eben nicht der Zweck dieses Raums und die Intention derer, die ihn bereitstellen. Willkommen in der Lebensrealität Vieler.
Solche Momente sind gute Gelegenheiten zu hinterfragen, ob man nicht vielleicht in anderen Fällen ein Privileg genießt, dessen man sich gar nicht bewusst war. Ob man vielleicht gerade darum besonders empört ist, weil man und die eigenen Interessen/das eigene Wohl/die eigene Teilnahme/die eigene Zustimmung sonst oft (wenn auch nicht immer) in den Mittelpunkt gestellt werden, und ob das vielleicht manchmal sogar auf Kosten anderer geschieht, mit denen man vielleicht mehr Solidarität zeigen und Empathie empfinden könnte.
Oder… man stilisiert sich als das wahre Opfer von Gewalt, den Märtyrer der wirklich Entrechteten und Freunde geben Social-Media-Schützenhilfe mit Nazi-Vergleichen, erklären die Ausladung für „dumm und intolerant“, für „Zensur und Verfolgungswahn“ und führen als einziges Argument auf, dass sie selbst als Nichtmitglied der primären Zielgruppe „zu keinem Zeitpunkt jemals erlebt [hätten], dass jemand Angst vor [der ausgeladenen Person] gehabt hätte.“
Das geht auch. Wenn man denn die Richtigkeit der Ausladung unbedingt nachdrücklich bestätigen möchte.
Wo bleibt der Rechtsstaat?
Vom FemCamp Wien wurde also eine Person ausgeladen, weil es mindestens eine konkrete Person gab, die bei seiner Präsenz ferngeblieben wäre bzw. sich unsicher gefühlt hätte. (Ich weiß keine Details und muss sie nicht wissen.)
Aber warum zählt denn deren Wort? Muss es keine öffentliche Verhandlung mit Anhörung aller Involvierten geben? Keine Rekursmöglichkeit? Nein. Die FemCamp-Orga hat sich entschlossen, die Definitionsmacht jenen zu verleihen, die sie als strukturell diskriminiert und als primäre Zielgruppe der Veranstaltung erkennt – also deren Wahrnehmungen zu akzeptieren, statt sie den Wahrnehmungen der sonst gesellschaftlich (tendenziell) bevorteilten „gleichwertig“ gegenüberzustellen. Weil die Befürchtung besteht, dass das in der Praxis gar nicht gleichwertig wäre, sondern man da Ungleiches gleich behandeln würde. Das könnte vielleicht in Einzelfällen „missbrauchsanfällig“ oder gar „unfair“ sein – aber es kann eine notwendige Maßnahme sein, um einen sonst herrschenden „Startvorteil“ wettzumachen und Menschen zu ermächtigen, die sonst (tendenziell) weniger am Wort sind/deren Wort weniger Beachtung geschenkt wird/die sich weniger Beachtung erkämpfen (können). In anderen Worten: Um den Zweck des FemCamps erfüllen zu können.
Das Thema eurer Veranstaltung bin ich.
Dazu passend war mir aufgefallen, dass der Ausgeladene im Vorfeld folgende (evtl. scherzhaft gemeinte?) Ankündigung gemacht hatte:
Beim letzten FemCamp hielt er eine Präsentation darüber, dass der Gender Pay Gap seiner Analyse nach kaum signifikant sei bzw. es nicht seriös sei, ihn an einer Zahl festzumachen.
Beide Vorträge finde ich für das FemCamp ziemlich unpassend. Warum – soll Widerspruch zensiert werden? Nein, das ist natürlich nicht der Grund. Es ist jedoch ein altbekanntes Muster, dass bei feministischen Diskussionen meistens sofort jemand zur Stelle ist, der die Debatte auf die Interessen von Männern zu lenken versucht und damit das ursprüngliche Gespräch – ob beabsichtigt oder nicht – sabotiert. Auch wenn diese Themen natürlich diskussionswürdig sind, soll hier ja explizit ein Raum geschaffen werden, der möglichst für Menschen offen ist, die mit bestimmten Nachteilen zu kämpfen haben – nicht einer für nicht davon betroffene, diese Nachteile anzuzweifeln oder auf andere Themen aufmerksam zu machen. Der Raum dafür ist nämlich sowieso schon immer und überall sonst.
Auch in der aktuellen Debatte ist es dem Ausgeladenen ja anschaulich gelungen, sich selbst und die eigene Befindlichkeit zum primären Gesprächsthema über das FemCamp zu machen. Am Freitag und Samstag wird der Fokus anderswo liegen, und das ist gut so.
Ist das noch ein BarCamp?
Darf/soll man eine Veranstaltung „BarCamp“ nennen, von der Leute ausgeschlossen werden? Natürlich. Die „Rules of BarCamp“ waren von Anfang an eine Parodie der „Rules of Fight Club“ und nie ernsthaft als unumstößliche Regeln gedacht. Sie werden ja auch routinemäßig ignoriert: Weder müssen alle Teilnehmenden bloggen noch alle erstmals Anwesenden tatsächlich etwas präsentieren. Ich halte es daher für ein vorgeschobenes Argument der BarCamp-Sittenwächter*innen (um mir einen Kampfbegriff von Antifeminist*innen anzueignen), sie in diesem Kontext plötzlich als gottgegebenen Maßstab heranzuziehen.
Einladung ♥
Abschließend bleibt mir nur zu sagen: Wenn ihr euch entweder bereits für queer-feministische Inhalte und Sichtweisen interessiert oder wenn ihr bereit seid, euren Horizont zu erweitern, auch wenn das in einem Rahmen geschieht, in dem es mal nicht in allererster Linie um euch und eure Meinung geht, kommt am Freitag und Samstag auf das FemCamp!
Es wird bestimmt spannend, lehrreich und lustig – und es ist explizit offen für alle, die diese Offenheit nicht selbst gefährden und akzeptieren können, dass sie das nicht selbst beurteilen.
Wir sehen uns dort!