FemCamp: Wenn man Offenheit mit Einschränkungen erkämpfen muss

Das FemCamp ist eine queer-feministische Unkonferenz („BarCamp“), die diesen Freitag und Samstag in Wien stattfindet.

Es geht dabei darum, „einen inklusiven und möglichst sicheren Raum [zu] schaffen, um gemeinsam zu diskutieren, sich zu vernetzen, Freundschaften zu knüpfen, Horizonte zu erweitern, neue Ideen und Projekte sprießen zu lassen und Spaß zu haben“ und „insbesondere im Alltag von Diskriminierungen betroffene Menschen ein[zu]binden“.

Ist das denn „nötig“?

Die Frage, ob ein BarCamp mit so einem Schwerpunkt nötig sei, sollte sich einerseits gar nicht stellen – wenn sich Leute finden, die es organisieren, gibt es offensichtlich Bedarf, der keine weitere Rechtfertigung benötigt. (Andere BarCamps für bestimmte Zielgruppen hinterfragt auch niemand.) Andererseits zeigt ein schneller Blick auf die Anmeldeliste der letzten generellen BarCamps in Wien eine (anhand der Vornamen ungenau geschätzte) Frauenquote von nur 23% und 15%, und es sind von vergangenen generellen BarCamps sexistische Vorfälle bekannt, auf die unzufriedenstellend reagiert wurde. Also: Ja, ist es.

Wie schafft man einen inklusiven Raum?

Um einen inklusiven Raum zu schaffen, muss man manchmal Menschen ausschließen. Nein, das ist kein Paradoxon. Offenheit ist kein binärer Zustand und lässt sich nicht nur an niedergeschriebenen Regeln messen. Wenn es eine Minderheit an Personen gibt, die durch ihr Verhalten potenziell Menschen von der Teilnahme abschrecken, ist eine Veranstaltung offener, wenn sie nicht daran teilnehmen. Umgekehrt: Wenn eine Gruppe oder Veranstaltung „offen“ für destruktive oder andere Menschen ausschließende Teilnehmende ist, ist sie nur mehr am Papier offen – die faktische Einschränkung hat man an diese Personen delegiert.

Keine eigenen Regeln aufzustellen, heißt die vorherrschenden Regeln der Gesellschaft zu übernehmen – vor allem die ungeschriebenen. Ein safe space soll aber eine bestimmte Gruppe genau vor diesen als unfair erlebten ungeschriebenen Regeln beschützen und wird daher erst dadurch hergestellt und gesichert, wenn jene Verhaltensweisen und damit Personen ausgeschlossen werden, die ihn gefährden könnten.

Diese Maßnahmen müssen auch nicht immer so gestaltet und formuliert sein bzw. gehandhabt werden, dass sie die uneingeschränkte Zustimmung jener bekommen, die von den damit entgegenzuwirkenden Problemen nicht betroffen sind. Sie können, ja müssen vielleicht sogar ihnen gegenüber auch mal unfreundlich sein.

Ausgeschlossen werden ist für Schwächere

Das kann für die Betroffenenen natürlich überraschend, verstörend und auch schmerzhaft sein. Vor allem, wenn sie nicht gewohnt sind, irgendwo ausgeschlossen zu werden. Oder einfach felsenfest überzeugt sind, zu den Guten™ zu gehören. Das heißt trotzdem nicht, dass ihnen dadurch Unrecht angetan wurde. Ihre Interessen besonders zu schützen und im Zweifelsfall zu ihren Gunsten zu entscheiden ist eben nicht der Zweck dieses Raums und die Intention derer, die ihn bereitstellen. Willkommen in der Lebensrealität Vieler.

Solche Momente sind gute Gelegenheiten zu hinterfragen, ob man nicht vielleicht in anderen Fällen ein Privileg genießt, dessen man sich gar nicht bewusst war. Ob man vielleicht gerade darum besonders empört ist, weil man und die eigenen Interessen/das eigene Wohl/die eigene Teilnahme/die eigene Zustimmung sonst oft (wenn auch nicht immer) in den Mittelpunkt gestellt werden, und ob das vielleicht manchmal sogar auf Kosten anderer geschieht, mit denen man vielleicht mehr Solidarität zeigen und Empathie empfinden könnte.

Oder… man stilisiert sich als das wahre Opfer von Gewalt, den Märtyrer der wirklich Entrechteten und Freunde geben Social-Media-Schützenhilfe mit Nazi-Vergleichenerklären die Ausladung für „dumm und intolerant“, für „Zensur und Verfolgungswahn“ und führen als einziges Argument auf, dass sie selbst als Nichtmitglied der primären Zielgruppe „zu keinem Zeitpunkt jemals erlebt [hätten], dass jemand Angst vor [der ausgeladenen Person] gehabt hätte.“
Das geht auch. Wenn man denn die Richtigkeit der Ausladung unbedingt nachdrücklich bestätigen möchte.

Wo bleibt der Rechtsstaat?

Vom FemCamp Wien wurde also eine Person ausgeladen, weil es mindestens eine konkrete Person gab, die bei seiner Präsenz ferngeblieben wäre bzw. sich unsicher gefühlt hätte. (Ich weiß keine Details und muss sie nicht wissen.)

Aber warum zählt denn deren Wort? Muss es keine öffentliche Verhandlung mit Anhörung aller Involvierten geben? Keine Rekursmöglichkeit? Nein. Die FemCamp-Orga hat sich entschlossen, die Definitionsmacht jenen zu verleihen, die sie als strukturell diskriminiert und als primäre Zielgruppe der Veranstaltung erkennt – also deren Wahrnehmungen zu akzeptieren, statt sie den Wahrnehmungen der sonst gesellschaftlich (tendenziell) bevorteilten „gleichwertig“ gegenüberzustellen. Weil die Befürchtung besteht, dass das in der Praxis gar nicht gleichwertig wäre, sondern man da Ungleiches gleich behandeln würde. Das könnte vielleicht in Einzelfällen „missbrauchsanfällig“ oder gar „unfair“ sein – aber es kann eine notwendige Maßnahme sein, um einen sonst herrschenden „Startvorteil“ wettzumachen und Menschen zu ermächtigen, die sonst (tendenziell) weniger am Wort sind/deren Wort weniger Beachtung geschenkt wird/die sich weniger Beachtung erkämpfen (können). In anderen Worten: Um den Zweck des FemCamps erfüllen zu können.

Das Thema eurer Veranstaltung bin ich.

Dazu passend war mir aufgefallen, dass der Ausgeladene im Vorfeld folgende (evtl. scherzhaft gemeinte?) Ankündigung gemacht hatte:

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Beim letzten FemCamp hielt er eine Präsentation darüber, dass der Gender Pay Gap seiner Analyse nach kaum signifikant sei bzw. es nicht seriös sei, ihn an einer Zahl festzumachen.

Beide Vorträge finde ich für das FemCamp ziemlich unpassend. Warum – soll Widerspruch zensiert werden? Nein, das ist natürlich nicht der Grund. Es ist jedoch ein altbekanntes Muster, dass bei feministischen Diskussionen meistens sofort jemand zur Stelle ist, der die Debatte auf die Interessen von Männern zu lenken versucht und damit das ursprüngliche Gespräch – ob beabsichtigt oder nicht – sabotiert. Auch wenn diese Themen natürlich diskussionswürdig sind, soll hier ja explizit ein Raum geschaffen werden, der möglichst für Menschen offen ist, die mit bestimmten Nachteilen zu kämpfen haben – nicht einer für nicht davon betroffene, diese Nachteile anzuzweifeln oder auf andere Themen aufmerksam zu machen. Der Raum dafür ist nämlich sowieso schon immer und überall sonst.

Auch in der aktuellen Debatte ist es dem Ausgeladenen ja anschaulich gelungen, sich selbst und die eigene Befindlichkeit zum primären Gesprächsthema über das FemCamp zu machen. Am Freitag und Samstag wird der Fokus anderswo liegen, und das ist gut so.

Ist das noch ein BarCamp?

Darf/soll man eine Veranstaltung „BarCamp“ nennen, von der Leute ausgeschlossen werden? Natürlich. Die „Rules of BarCamp“ waren von Anfang an eine Parodie der „Rules of Fight Club“ und nie ernsthaft als unumstößliche Regeln gedacht. Sie werden ja auch routinemäßig ignoriert: Weder müssen alle Teilnehmenden bloggen noch alle erstmals Anwesenden tatsächlich etwas präsentieren. Ich halte es daher für ein vorgeschobenes Argument der BarCamp-Sittenwächter*innen (um mir einen Kampfbegriff von Antifeminist*innen anzueignen), sie in diesem Kontext plötzlich als gottgegebenen Maßstab heranzuziehen.

Einladung ♥

Abschließend bleibt mir nur zu sagen: Wenn ihr euch entweder bereits für queer-feministische Inhalte und Sichtweisen interessiert oder wenn ihr bereit seid, euren Horizont zu erweitern, auch wenn das in einem Rahmen geschieht, in dem es mal nicht in allererster Linie um euch und eure Meinung geht, kommt am Freitag und Samstag auf das FemCamp!
Es wird bestimmt spannend, lehrreich und lustig – und es ist explizit offen für alle, die diese Offenheit nicht selbst gefährden und akzeptieren können, dass sie das nicht selbst beurteilen.
Wir sehen uns dort!

Huch, wir sind ja links!

Trololo...

[Wir müssen] alle Verhältnisse umwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.
–Karl Marx, Kryptopirat

Anlässlich unserer Wahlallianz zur Europawahl mit dem Wandel und –OMG!– der KPÖ ist die Diskussion wieder entbrannt, ob die Piratenpartei denn links sei: Ja, und das ist gut soSozial ja, wirtschaftlich aber eher liberal? Die Piratenbasis kennt sowieso keine Fragestellung, die sie nicht mit einer Abstimmung lösen (?) kann. Während die noch läuft, mal meine Sicht der Dinge:

Wir sind keine Internetpartei, wir haben im Internet einen neuen Gesellschaftsentwurf gefunden.
Florian Unterburger, ehemaliger Vorsitzender der sächsischen Piraten

Die Piraten finden das Internet ja bekanntermaßen ziemlich super. Im Netz haben wir gelernt, wie Menschen auf Augenhöhe global zum Vorteil aller kollaborieren. Wie Information, Wissen und Kultur durch Verbreitung und dadurch, das jemand auf ihnen weiter aufbaut, ihren vollen Wert entfalten. Wie wir die historisch gewachsene Macht von Wegzoll verlangenden Mittelspersonen großteils umgehen können. Darin sehen wir gesellschaftliche Chancen, die wir fördern wollen, und deren Lektionen wir in den alten, verknöcherten Institutionen, die uns umgeben, umsetzen wollen: In Parteien, Firmen, Staaten, in der Verwaltung usw.

Gleichzeitig gibt es technologische Zusammenhänge, die wir ablehnen und bekämpfen: Staaten überwachen ihre Bürger ohne Verdacht, Konzerne handeln ohne Einverständnis mit persönlichen Daten.

Wie haben wir nun die schlechten von den guten Folgen des Fortschritts unterschieden?
Na: Mit Ideologie. In unseren Grundwerten haben wir unsere Ideologie umrissen: Mündigkeit, Mitbestimmung und Teilhabe für alle. Wir wollen Menschen Potenziale eröffnen, treten gegen Diskriminierung ein und verteidigen Menschenrechte – und zwar nicht nur, weil ein paar Leute mehr in unserer Liquid Democracy zufällig dafür waren, als dagegen, sondern weil das unserem gemeinsamen Weltbild und Wertegerüst entspricht.

Technologien sind nicht neutral. Wir brauchen eine politische Vision für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft.
Amelia Andersdotter, Abgeordnete zum europäischen Parlament der schwedischen Piratenpartei

Die Piraten haben längst erkannt, dass es zu wenig ist, sich oberflächlich mit technischen Entwicklungen und ihren Chancen und Gefahren zu beschäftigen. Davon untrennbar sind die Fragen: Wer profitiert von diesen Möglichkeiten, und wer nicht? Wer kann dabei mitreden und mitgestalten, und wer ist bestenfalls passive Konsumentin bzw. passiver Konsument? Wer kann sich die Teilhabe an der schönen neuen Welt leisten, und wer nicht? Auf wessen Rücken wird sie überhaupt erbaut? Wem wird dadurch Macht genommen und wem verliehen? Wer hat überhaupt ganz andere, akutere Sorgen?

Anhand dieser Fragen sind wir über die ehemaligen Kernthemen hinausgewachsen und haben auch die „analogen“ Vorbedingungen für die faire Verteilung von Fortschritt ins Programm aufgenommen: Bildung, bedingungslose soziale Absicherung, eine möglichst diskriminierungsfreie Gesellschaft, eine Wirtschaft, in der die freien Menschen vor den freien Märkten kommen (also in der niemand abhängig ist, an der alle mündig und möglichst ohne Macht- und Informationsasymmetrie teilnehmen können), u.v.m.

Diese Verschränkung von technischen und sozialem Fortschritt ist Techno-Progressivismus. Es geht um Wechselwirkungen wie diese:

Using technology to deepen democracy, using democracy to ensure technology benefits us all. Dale Carrico

Die noch nie dagewesene Vernetzung der Menschheit gibt uns einen Fuß in der Tür des vorherrschenden Systems. Free culture, open source, crowdsourcing, crowdfunding, nichtkommerzielle internationale Kollaboration, Makerspaces, peer-to-peer-Architekturen – diese Netzphänomene sind progressive U-Boote innerhalb eines neoliberalen, unfairen Systems.

Aber Technologie allein wird unsere gesellschaftlichen Probleme nicht lösen, so wie ein Verschlüsselungs-Wettrüsten nicht die Antwort auf ausufernde Überwachung sein kann. Dazu braucht es politische, gesellschaftliche und institutionelle Weichenstellungen:

Without institutional innovation, benefits of technical innovation are likely to remain hyperconcentrated at the top. Radical technologies will need equally radical new institutions to bring forth their maximum, most disruptive potential.
Umair Haque

Die Piratenpartei steckt keine irrationalen Hoffnungen in den Heilsbringer Technologie – sondern ist vielmehr jener Arm dieser Netzbewegung, der sich eben nicht mehr mit diesen Alternativen an den Rändern des Systems begnügt. Wir sind die, die nicht mehr ihre eigene Utopie in irgendeiner abgelegenen Ecke bauen, die dann hauptsächlich einer digitalen Elite zugute kommt, und die DAUs soll halt den Code forken oder uns gestohlen bleiben. Wir sind nicht netzliberal oder gar netzlibertär. Die Piratenbewegung will fairen Fortschritt, freien Zugang zu Information, Mitbestimmung aller, die Wissensallmende usw. mainstream machen. Wir tragen diese Visionen in Parlamente, um die Rahmenbedingungen dafür politisch zu sichern, die Teilhabe aller daran zu garantieren, und schließlich die Funktionsweise des Systems selbst nach ihrem Vorbild zum Wohle aller zu verändern.

Dieser Anspruch macht uns links.

Manche Mitglieder mögen sich mit der Rhetorik klassisch linker Ideologien nicht identifizieren, auch wenn sie die dahinter liegenden Ideale unterstützen. Wir haben einen anderen theoretischen Unterbau als die meisten Linken, haben nicht dieselben toten Autor*innen gelesen und sind von Diskussionen über ideologische Detaildifferenzen (wie sicher auch viele Linke) schnell gelangweilt. Ganz sicher nichts anfangen können wir mit jeglicher extremen Ausprägung von Kollektivismus. Wirtschaftlich haben wir einen egalitär liberalen Flügel, wollen aber hauptsächlich moderne Alternativen zu althergebrachten linken und liberalen Positionen entwickeln. Wir haben auch im Gegensatz zu manchen im linken Spektrum wenig missionarischen Anspruch, Menschen erklären zu wollen, wie man richtig zu leben hat, sondern konzentrieren uns auf die Sicherung positiver Freiheiten. Einige in unseren Reihen haben bedauerlicherweise noch ein etwas privilegienblind kalibriertes Weltbild.

Aber wenn man uns einordnen will, oder wenn wir uns einordnen wollen – dann sind wir aus meiner Sicht zweifellos links. Ohne Scheuklappen, aber trotzdem überzeugt.

Das sollten wir Pirat*innen ebenso anerkennen, wie jene systemkritischen Kräfte, die ähnliche progressive und egalitäre Ziele verfolgen. Wir sind Verbündete im Kampf um eine bessere Welt für alle Menschen. Und gemeinsam sind wir stärker.

Wer das Netz hat, macht die Regeln: Machtfrage Netzpolitik

Gestern nahm ich auf der #DNP13 an einem Panel von ParteienvertreterInnen teil. Die Runde begann mit einer Grundsatzfrage:

Was sind die wichtigsten netzpolitischen Herausforderungen der kommenden Legislaturperiode?

Die wichtigste Herausforderung für die Netzpolitik ist, endlich über sich hinaus zu wachsen. Es muss gelingen klarzumachen, dass Netzpolitik keine Nischenmaterie ist, keine Klientel hat und kein Selbstzweck ist, sondern Grundrechte und damit alle Bürgerinnen und Bürger betrifft. Netzpolitische Fragen sind (eine) Grundvoraussetzung für eine demokratische(re) Gesellschaft, an der alle teilhaben können.

Nie zuvor waren die Gefahren, die von fehlender oder vermasselter Netzpolitik ausgingen, so bedrohlich und akut wie heute – und auf der anderen Seite bleiben die Chancen nach wie vor weitgehend unausgeschöpft. Ob diese Chancen und Gefahren in den nächsten Jahren endlich gebührend wahrgenommen werden ist eine Richtungsentscheidung für unsere Demokratie – denn Netzpolitik ist Emanzipationspolitik.

Die drohende Gefahr ist die weitere Umverteilung von Macht zu den bereits Mächtigen und die Aushöhlung der Demokratie durch den schrittweisen Abbau von demokratischen Grundrechten und -prinzipien wie der Unschuldsvermutung, der Privatsphäre und der freien Meinungsäußerung.

  • Wenn der Staat immer mächtiger, und die Menschen immer ohnmächtiger werden: Durch die stete Ausdehnung verdachtsloser Überwachung und neuen Gründen für den Zugriff auf Vorratsdaten. Durch die Schere im Kopf, die Überwachung verursacht. Durch Angriffe auf die Integrität des Netzes (Anzapfung von Tiefseekabeln, Unterminierung von Sicherheitsmaßnahmen), und dem damit einhergehenden Vertrauensverlust. Durch neu errichtete Zensurinfrastruktur für Zugangssperren und ihren unweigerlichen Missbrauch.
  • Wenn Technologie Menschen beherrscht, statt Menschen Technologie: Wenn vielen die Netzkompetenz für einen mündigen Umgang mit technischen Werkzeugen fehlt und sie auf die Rolle der machtlosen KonsumentInnen eingeengt sind, wenn Privatsphäre schützende Software ein Buch mit sieben Siegeln bleibt und informationelle Selbstbestimmung fehlt. Wenn algorithmisches Profiling Unbescholtene ins Fadenkreuz nimmt, weil ihr Verhalten nicht dem entspricht, was jemand als „normal“ definiert hat.
  • Durch Zementierung der Vormachtstellung von Konzernen: Wenn Datenschutz zahnlos bleibt bzw. geschwächt wird, wenn die Netzneutralität nicht gesichert wird, wenn das Urheber-/Verwertungsrecht breiten Zugang und mündigen Umgang mit Kunst & Kultur erschwert und auch Lebensgrundlagen patentierbar sind.
  • Durch fehlenden flächendeckenden Zugang zu einem schnellen und neutralen Netz und Aufrechterhaltung des digital divide.

Die unausgeschöpfte Chance lautet: Mehr Mündigkeit für alle und dezentralere Verteilung von Macht – eine nie dagewesene Annäherung an das Ideal der res publica.

Wenn dafür Verständnis in der Politik verankert wird, ist die Basis für die meisten Detailentscheidungen geschaffen – daher ist das das wichtigste netzpolitische Ziel der kommenden Legislaturperiode. Dazu muss dieses Verständnis aber nicht nur unter den NetzsprecherInnen der Parteien Konsens sein, sondern von der Kanzlerkandidatin abwärts bis zur Parteibasis. Es gibt nur eine Partei, auf die das bisher gänzlich zutrifft. Bei den anderen wird es sich leider erst vollends durchsetzen, wenn der Druck aus der Bevölkerung noch stark zunimmt. Leider zeigen uns der maue Protest gegen PRISM & Co – ganz zu schweigen von der Schwierigkeit, Menschen für die Datenschutz-Grundverordnung zu begeistern – dass das noch etwas dauern könnte. Hoffentlich ist es dann nicht zu spät, manche Gefahr abzuwehren.

Die klarste Chance auf Abkürzung ist, dass Piraten in Parlamente einziehen. Das wäre ein Signal in einer Sprache, die die Etablierten ohne Abstriche verstehen – und man braucht dazu nur 4% der Bevölkerung.

PS: Netzpolitik muss aber natürlich intersektional gedacht werden. Wer bei Netzfreiheit nicht die Freiheit aller Menschen mitbedenkt, sie zu nützen und davon zu profitieren, betreibt Klientelpolitik für eine Elite. Freie, innovative und individualisierte Bildung, bedingungslose soziale Absicherung und eine möglichst diskriminierungsfreie Gesellschaft gehören zu den Grundvoraussetzungen.

Freiheit macht erfinderisch, oder: Mehr Lou Lorenz-Dittlbachers braucht die Welt

Da hätte ich schneller denken müssen: In der Zeit im Bild 2 konfrontierte mich Moderatorin Lou Lorenz-Dittlbacher bei der Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) mit einer Zahl, die mich aus dem Konzept brachte, obwohl sie genaugenommen eine Themenverfehlung war: Als ich über die Kosten eines BGE im Verhältnis zum aktuellen Sozialsystem sprach, brachte sie – fast schon entsetzt – die darunter liegenden jährlichen Steuereinnahmen auf. Wie soll sich das ausgehen?

Für den Konter, dass sich die Sozialausgaben natürlich mehrheitlich aus Sozialabgaben speisen, die in ihrer Zahl nicht enthalten waren, war ich nicht spontan genug – dadurch kam sicher bei vielen der Eindruck auf, die von mir genannten Zahlen wären falsch. Autsch.

Aber bevor ich auf erschreckend große, aber dann doch nicht so utopische Zahlen zurückkomme, will ich nochmals mit mehr Platz die generelle Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit dieser Idee argumentieren. Das BGE kann man aus vielen Richtungen argumentieren – und aus ebensovielen angreifen. Hier mein Versuch.

Menschenrecht in der Informationsgesellschaft

In der Informations- und Wissensgesellschaft ist eines essenziell für die Frage der Verteilung von Macht und gesellschaftlicher Teilhabe: Der Zugang zu Information. In diesem Zusammenhang stellen die Piraten wichtige Themen in den Vordergrund, die Parteien mit Wurzeln in der Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft noch großteils verschlafen: Grundrecht auf Internet, Transparenz in Politik, Verwaltung & Wirtschaft, Urheber- und Patentrechtsreform, Netzneutralität, Datenschutz, Open Data, Open Access, usw.

Diese Forderungen zielen auf Menschen ab, die mündig, gebildet, selbstständig und motiviert genug sind, den politisch und technisch möglich gemachten Zugang zu Information dann auch wahrzunehmen. Das geht jedoch nicht ohne soziale Absicherung. Solange jemand hauptsächlich damit beschäftigt ist, die eigene Existenz bzw. die der Familie zu sichern, ist z.B. politische Mitbestimmung ein Luxusproblem – und bleibt daher den Privilegierteren überlassen.

Unsere netz- bzw. informationspolitischen Themen laufen ohne Begleitmaßnahmen wie ein BGE Gefahr, in erster Linie einer (digitalen) Elite zugute zu kommen. Die Piratenpartei will aber nicht bloß für die internetaffinen Kinder reicher Eltern das beste (gratis Downloads, yeah), sondern hat den gesamtgesellschaftlichen Anspruch, allen maximale Freiheiten, Mündigkeit und Teilhabe zu ermöglichen – und dafür schafft ein garantierter finanzieller Grundsockel eine Voraussetzung.

Warum nicht den Bedarf prüfen? Ist nicht Aufgabe des Staates, nur dann einzuspringen, wenn sich jemand nicht selbst helfen kann? Das seh ich anders: Der Staat sollte versuchen sicherzustellen, dass sich alle helfen können – und Menschen nur in Ausnahmefällen dazu verdonnern, um ein bürokratisches Urteil zu bitten, ob sie Hilfe verdient haben oder nicht. Ein Grundeinkommen wäre keine neue Sozialleistung, sondern ein neues Menschenrecht – und zwar eines, das Vorbedingung für die flächendeckende Teilhabe an der Informationsgesellschaft ist. (Weitere Vorbedingungen sind Bildung und eine möglichst diskriminierungsfreie Gesellschaft.)

Investition in das Potenzial der Menschen

“If you don’t recognize man’s will to meaning and search for meaning, you make him worse, you make him dull and frustrated. If, however, you presuppose there must be a spark of search for meaning, then you will elicit it from him and make him become what he is capable of becoming.” –Viktor Frankl, Goethe zitierend

Sehr viele Menschen denken, wenn sie mit der Idee eines BGE konfrontiert werden, erstmal an die vermeintliche Schlechtheit der Anderen. Die werden doch nichts hackln, wenn nicht das Damoklesschwert der Existenzangst über ihnen schwebt! Und die Faulheit all dieser Schmarotzer soll ich auch noch finanzieren?

Ganz im Gegenteil halte ich ein Grundeinkommen – mit Begleitmaßnahmen – nicht für ein altruistisches Almosen sondern für eine gewinnbringende Investition in die Zukunft.

Auf den Rücken von unzähligen Menschen, die nah am Existenzminimum monotone oder schwere Arbeiten vollbringen, von einem Monat zum nächsten leben und ab Dienstag die Tage bis zum herannahenden Freitag zählen, ist unsere Welt erbaut – aber das macht nicht ihre Tätigkeit und schon gar nicht ihre Lebensumstände bewahrenswert.

“Not macht erfinderisch” behauptet das Sprichwort. Was das eigene Gerade-noch-Überleben angeht, mag das stimmen. In Bezug auf gesellschaftlichen Fortschritt ist es jedoch ganz offensichtlich vielmehr Freiheit, die erfinderisch macht.

Jene, die selbstbestimmt, gebildet, mündig und nicht allein ihrer Existenzsicherung wegen forschen, erfinden, Kultur schaffen, unternehmerisch tätig sind, sich für sozialen Fortschritt einsetzen, usw; die Risken eingehen können; deren Tätigkeit ihre Berufung ist, und die dabei sogar oft Spaß haben – erst die können ihr volles Potenzial entfalten. Und dann sind da noch all die, die ehrenamtlich politisch bzw. aktivistisch aktiv sind, Open Source Software schreiben, an Wikipedia miteditieren, usw. – für all diese Menschen gilt die folgende leicht abgewandelte Aussage des DM-Gründers Götz Werner:

“Das Einkommen ist nicht die Bezahlung der gesellschaftlichen Leistung – es ist die Voraussetzung dafür.”

Wann und warum haben wir die Bemühungen aufgegeben, diese Eigenschaften auf all die Millionen Menschen auszudehnen, die weltweit mit der Sicherung ihres Überlebens oder in Niedriglohn-Hamsterrädern beschäftigt sind? Steckt in der Mehrheit von denen nicht dasselbe Potenzial? Wäre es nicht eine der Hauptaufgaben des Staates, sie besser dabei zu unterstützen, es zu realisieren? Ist der Status Quo nicht eine sträfliche Verschwendung dieser wichtigsten, viel zu ungenützten, hochgradig erneuerbaren “Ressource” auf diesem Planeten? Das gilt sowohl kühl-berechnend wirtschaftlich als auch moralisch gesehen:

“When we consider that each of us has only one life to live, isn’t it rather tragic to find men and women, with brains capable of comprehending the stars and the planets, talking about the weather; men and women, with hands capable of creating works of art, using those hands only for routine tasks; men and women, capable of independent thought, using their minds as a bowling-alley for popular ideas; men and women, capable of greatness, wallowing in mediocrity; men and women, capable of self-expression, slowly dying a mental death while they babble the confused monotone of the mob?”  –William J. Reilly:  How to Avoid Work: A 1949 Guide to Doing What You Love

Lou Lorenz-Dittlbacher antwortete dann auch sehr bezeichnend auf meine Frage, ob sie beim Bezug eines BGE noch arbeiten würde: “Ich bin sicher ein anderer Fall, weil mir macht meine Arbeit auch sehr viel Spaß”.

Was für eine fehlgeschlagene Gesellschaft, in der das ein “anderer Fall” ist!

Ich bin überzeugt: Wenn es auf der Welt mehr solche angeblich “anderen Fälle” gibt, also mehr Leute, die wie Lou Lorenz-Dittlbacher das tun, was sie auch wollen und nicht nur, wozu sie gezwungen werden, werden wir davon alle profitieren. Direkt, durch höhere Produktivität (vielleicht nicht notwendigerweise in Euro/BIP gemessen, aber m.E. sehr wahrscheinlich auch das), durch mehr Fortschritt und mehr Lebensqualität – und indirekt durch sinkende Kriminalitätsraten, Gesundheitskosten usw.

Keine freien Märkte ohne freie Menschen

“Ein bedingungsloses Grundeinkommen macht Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen zu freien Markteilnehmern. Zum ersten Mal ermöglicht es die freie Preisbildung nach Angebot und Nachfrage auch für das Gut Arbeit. Es vervollkommnet damit die Idee der freien Marktwirtschaft, indem es den bisherigen Makel beseitigt, dass das liberale Marktdenken zwar für das freie Spiel der Kräfte zum Wohle Aller eintritt, dieses Prinzip dann aber nie auf den existentiell abhängigen und damit unfreien Menschen und Arbeitnehmer anwendet.” –Der Schwarm im Piratenpad

Das bedingungslose Grundeinkommen ist nicht kommunistisch. Ich will es nicht, um die Marktwirtschaft ins Wanken zu bringen oder allen gleich viel zuzuteilen – im Gegenteil, ich will ein BGE, damit der Arbeitsmarkt auch in der Praxis ein Stück mehr so funktioniert, wie er es in der Theorie tun sollte.

Nur mündige und unabhängige Menschen sind rationale TeilnehmerInnen an Märkten, und nur Märkte mit nur solchen Teilnehmern darf man als frei bezeichnen. Diese Mündigkeit und Unabhängigkeit herzustellen ist Aufgabe des Staates, und ein BGE ist eine effektive Maßnahme dazu.

Wenn das nicht so ein vorbelastetes Wort wäre, würde ich dazu vielleicht “Opt-in-Kapitalismus” sagen: Garantiertes Grundeinkommen + freie, kostenwahre, transparente Märkte + freier Zugang zu Information, Wissen & Kultur. Vielleicht besser “Win-Win-Marktwirtschaft”? “Demokratischer Kapitalismus”? “Freiwillige Märkte”?

Jedenfalls würde der Wegfall eines Erwerbsarbeitszwangs m.E. erstmals sichtbar machen, wieviel uns manche Jobs tatsächlich wert sind (weil sie hoch entlohnt werden müssen, damit sie jemand macht; zu dieser These gibt es aber auch Gegenargumente). Da wird sich bei so mancher Tätigkeit eine Umschichtung von den Management- zu den Drecksarbeitsgehältern aufdrängen – oder gar die Automatisierung. Ist das nicht Arbeitsplatzvernichtung? Klar, aber in einer BGE-Gesellschaft ist das weniger dramatisch.

“In der Politik lautet eine beliebte Phrase: Arbeitsplätze sichern. Das ist Unsinn. Arbeit muss man erledigen, nicht sichern. Aus dem falschen Paradigma der Vollbeschäftigung kommt solcher Unsinn wie: Recht auf Arbeit.” —Götz Werner

“Leistung muss sich wieder lohnen”

Was nix kostet, is’ nix wert? Wir wissen alle, dass das nicht stimmt: Sehr viel gesellschaftlich wert- und sinnvolle Leistung wird heute nicht entlohnt, allen voran Erziehung und Pflege. Gesellschaftlicher Wert kann offensichtlich in Euros nur unzureichend gemessen werden und dennoch brauchen auch die Menschen, die solche nicht monetär entlohnte Arbeit verrichten, Euros zum Überleben.

Personen, die solche Leistungen erbringen, müssen das daher derzeit in finanzieller Abhängigkeit von anderen, in prekären Lebensumständen oder in existenzieller Abhängigkeit von Behördenentscheidungen tun – alles meiner Ansicht nach Situationen, die wir verhindern sollten.

Zusammenfassend: Nur wer frei von Existenzangst und tatsächlich unabhängig ist, kann an der Gesellschaft mündig und produktiv teilnehmen. Das BGE sichert Existenzen, entlohnt karitative Arbeit, ermöglicht Unternehmertum und reduziert Bürokratie. Es ist keine Hängematte für Faule, sondern eine Voraussetzung für eine freie Gesellschaft der Zukunft.

Finanzierbarkeit

Okay, jetzt also zu den Zahlen. Gleich vorweg: Hier kommt kein fertiges Modell. An diesem Punkt der Debatte sind wir noch lange nicht. Das BGE ist eine längerfristige Vision, keine Koalitionsbedingung und kein dringlicher Antrag. Die konkrete Höhe, das genaue Finanzierungsmodell für die Mehrkosten und die Modalitäten einer – vermutlich sehr langsamen, phasenweisen – Einführung sind noch nichtmal im Parteiprogramm der österreichischen Piraten festgelegt. Zuerst brauchen wir eine breite öffentliche Diskussion.

Was ich hier machen will, ist mit dem häufigsten Vorurteil aufzuräumen: Die Finanzierung eines BGE ist NICHT völlig utopisch. Wenn wir wollen, könnten wir es umsetzen.

In der Piraten-Modellrechnung gehen wir von einem monatlichen BGE in Höhe der Mindestpension aus – das sind derzeit 837 Euro. Das kostet uns TV-ModeratorInnen-schockierende ~83 Milliarden Euro.

Von den aktuell ~86 Milliarden Euro, die laut EU-Definition heute in Österreich jährlich für Soziales aufgewendet werden, können knapp zwei Drittel für das BGE umgelegt werden: Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Ausgleichszulage, Kinderbeihilfe, Wohnbeihilfe, Heizkostenzuschuss usw. entfallen zusammen mit der Bedarfsprüfungsbürokratie. Und: Langfristig (ohne dass aufrechte Ansprüche angetastet werden) ersetzt das BGE auch klassische Pensionen. Bestehen bleiben natürlich Zuwendungen an besonders Bedürftige (Pflegebedürftige, Invalide, usw.)

Ein gar nicht kleiner Teil der verbleibenden Lücke fließt – ginge man von gleichbleibenden Arbeitsverhältnissen aus, dazu aber gleich mehr – über die Einkommens-/Lohnsteuer wieder zurück (da auf das Gesamteinkommen, also inkl. BGE, über 800 Euro ganz normal progressiv Steuern anfallen).

Übrig bliebe eine Finanzierungslücke im Ausmaß einiger Milliarden. Immer noch viel – aber nicht etwas, wo man neben Budgetposten wie der HYPO-Rettung und den Eurofightern behaupten könnte, dazu “müsste man das Geld abschaffen” (Lorenz-Dittlbacher). Passt man die Grundsteuer an die Marktwerte an, führt man die Erbschaftssteuer wieder und eine Finanztransaktionssteuer erstmals ein und besteuert man auch Kapitalertrag mit demselben progressiven Steuersatz wie Einkommen aus Arbeit, geht sich das praktisch schon aus.

Meiner persönlichen Meinung nach könnte man noch etwas weitergehend staatliche Förderungen, Aufwendungen und BeamtInnen kürzen – man muss sich im Detail ansehen, welche davon Engagement-ermöglichende Rollen spielen, die durch das BGE abgelöst werden. So wie der Staat sich von der Bedarfsprüfung vieler Sozialleistungen löst, könnte er auch in anderen Bereichen eine weniger aktiv selektierende Rolle spielen. (In der Piratenpartei gibt es dazu aber noch keine Position und kaum Diskussion.)

Der eigentliche Knackpunkt:

Wie sich das Verhalten der Menschen bei einem BGE ändert, ist nicht seriös vorherzusagen. Pessimisten werden argumentieren, ein großer Teil der Einkommens- und Lohnsteuereinnahmen würde rasch wegfallen und dadurch die weitere Finanzierung verunmöglichen. Andere Theorien prognostizieren Teuerungsspiralen oder Lohndumping. Das ist nichts, was ich in einem Nebensatz vom Tisch wischen könnte.

Um die oben geforderte Diskussion sinnvoll führen zu können, brauchen wir eine bessere Faktenlage, die mit Feldversuchen und Studien hergestellt werden muss. Die bisher über den Globus verteilten Versuche waren zu klein, zu lang her und in zu verschiedenen Volkswirtschaften.

Das wäre meine erste konkrete Forderung: Nehmen wir einmal ein paar Millionen in die Hand, um die Diskussion auf eine wissenschaftlich seriöse Ebene zu bringen. (Auch das findet sich aber leider noch nicht im Piraten-Parteiprogramm.)

Was ich jedenfalls für ganz falsch halte: Sich auf mögliche negative Auswirkungen eines BGE zu versteifen, während man die ganz konkreten schlechten Auswirkungen des heutigen Systems verdrängt (weil das ja “normal” ist); die “Ich bin ein Sonderfall, die anderen wären das Problem”-Mentalität; die Annahme, Menschen wären durch Zwang nachhaltig sinnvoll zu gesellschaftlichen Beiträgen zu bewegen; oder das Postulat, “Vollbeschäftigung” sei ein notwendigerweise verfolgenswertes Ziel.

Netzfreiheit einer Utopiediskussion opfern?

Meine größte Sorge bei diesem Thema ist leider eine polit-taktische: Die Idee des BGE scheint so weit von der Lebensrealität vieler Menschen weg zu sein, dass sie großteils auf starke spontane Ablehnung, Unglauben bzw. Unverständnis stößt. Die Aufklärung darüber ist ein Jahrzehnteprojekt.

Bis dahin macht man es mit dieser Vision leider vielen Leuten viel zu einfach, einen abzustempeln und nicht ernst zu nehmen. Diese Idee könnte so von den wirklich akuten Themen der Verteidigung unserer Freiheiten und Bürgerrechte, dem Ausbau der Demokratie sowie der Bildungsreform ablenken – wie in der ZIB2 vorgetanzt.

Obwohl mir solche Taktik eigentlich grundsätzlich widerstrebt, ist das eine Abwägung, bei der ich noch zu keinem endgültigen Ergebnis gekommen bin.

Wie denkst du darüber?

PS: Derzeit läuft eine europäische Bürgerinitiative zum BGE – schon unterzeichnet?

Die Piratenpartei bekommt, was sie verdient

Bis auf eine – die Große – sind nun die Wahlen des Superwahljahrs 2013 hinter uns. Die Piratenpartei war überall dabei. Zeit für eine Zwischenbilanz.

Tirol* 0,76%
Niederösterreich* 0,88%
Kärnten 0,99% Erster/einziger landesweiter Antritt
Salzburg* 1,89% Wahlkampfkostenrückerstattung erreicht
Graz 2,70% Einzug in den Gemeinderat
ÖH* 4,49% Einzug in die Bundesvertretung (+Univertretung in Wien)

* Kein flächendeckender Antritt. Die Zahlen beziehen sich jeweils nur auf die Stimmzettel, auf denen die Piraten standen.

Auf die Gefahr hin, mich damit intern unbeliebt zu machen, muss ich feststellen: Wir haben im Großen und Ganzen bekommen, was wir verdient haben. Bei keinem der bisherigen Antritte der österreichischen Piratenpartei war das erzielte Ergebnis allzu ungerechtfertigt niedrig.

Keine Frage – bei jeder dieser Wahlen haben sich einige Leute den Arsch aufgerissen und enorme Mengen an Zeit, Energie, Herz, Seele und (stellenweise) Geld investiert. Mit den vielen hunderten gesammelten Unterstützungsunterschriften, dem ersten landesweiten Antritt, dem Erreichen der Hürde zur Wahlkampfkosten-Rückerstattung in Salzburg und natürlich vor allem dem Einzug in drei Vertretungsgremien (Grazer Gemeinderat, Universitätsvertretung Uni Wien, ÖH-Bundesvertretung) wurden wichtige Meilensteine erstmals erreicht. Allen, die dabei mitgeholfen haben, gebühren Respekt, Dank, Bewunderung und ein ausgedehnter Erholungsurlaub.

Aber über eines müssen wir uns im Klaren sein: Der Grund für ausbleibende Erfolge in den Ländern ist nicht der Mitbewerb, es sind nicht die unfairen Medien, und schon gar nicht die blöden Wähler – das sind wir schon selbst.

Teams an 5, 6, 10 wirklich aktiven Mithelfenden in einem ganzen Bundesland. Auf wenige Bullet Points beschränkte Wahlprogramme, für deren Umsetzung die antretenden Personen großteils keine nennenswerte Glaubwürdigkeit aufwiesen. Laute Forderungen nach Transparenz, an denen man schon in der Wahlkampagnen-Organisation selbst scheitert. Streit unter Mitgliedern, bei dem aus Ameisenhügeln Berge gemacht werden und persönliche Befindlichkeiten in den Vordergrund rücken. Eine Kommunikationskultur, die die meisten Sympathisierenden aussperrt oder zumindest abschreckt. Das reicht alles nicht, und daran gibt es nichts schön zu reden.

“Die Piraten sind tot”, urteilen manche, die verblüfft sind, was aus dem Hype vom Frühling 2012 wurde. Der medial aufgelegte Elfmeter wurde nicht verwandelt. Wie konnten wir bloß so blöd sein?

So denken Leute, deren Berufung vorrangig das Kaffeesudlesen in der öffentlichen Meinung, das Produzieren von leeren aber “effektiven” Worthülsen oder die Generierung möglichst hoher Werbebanneranzeigeraten ist. Wer Wert auf Substanz legt, stellt fest: Tot sind nicht wir, tot ist der Hype. Tot ist die Illusion, dass es bloßer Anwesenheit bedarf, um in Parlamente zu spazieren, solange man sich die Marke “Piratenpartei” umhängt.
Wir? Wir sind noch klein und lernen gerade krabbeln.

Verdienen wir mehr, weil wir nicht mehr wollen, als wir verdienen?

Ich weine dem Hype nicht allzu bitter nach. Denn: Wir wollen gar nicht die mit den hohlen Phrasen sein, die unkritisch und mit unrealistischen Erwartungshaltungen bloß für’s neu oder anders sein gewählt werden! Wir wollen nicht die sein, die uns mit einem Millionär verbandeln und uns so die Abkürzung zu Aufmerksamkeit und Posten erkaufen! Wir wollen nicht die sein, die uns ein bissl Mitbestimmung als Mäntelchen umhängen, aber dann doch mit “klarem Leadership” die Ergebnisse so hinbiegen, wie’s den Chefs strategisch passt! Wir wollen nicht die sein, die per Zielgruppenanalyse und Fokusgruppe das ideale Stimmvieh ins Visier nehmen und danach die dazupassenden Versprechungen erdichten!

Wenn man etwas nachhaltig aufbauen möchte, muss man klein beginnen – Abkürzungen zu nehmen funktioniert nur mit Hype, Geld oder Berühmtheit. (Und wohin ungerechtfertigter Hype führen kann, haben wir leider schon im Innsbrucker Gemeinderat vorgeführt.) Unsere Situation und die heurigen Ergebnisse sind gar nicht unähnlich zu denen den Grünen bei ihren ersten Antritten bei Landtagswahlen. Mit etwas Optimismus kann man das sogar als gutes Zeichen anfangenden nachhaltigen Wachstums interpretieren.

Und genau dieser Anspruch auf Nachhaltigkeit statt Sternschnuppen-Hype ist der erste vieler Gründe, aus denen wir dann paradoxerweise doch eine Chance verdient hätten, selbst wenn wir noch nicht ganz wacker auf zwei Beinen unterwegs sind.

Weil wir die mit den Grundwerten sind, die ins 21. Jahrhundert passen. Weil wir uns nicht für die einzig moralisch perfekten, intellektuell unfehlbaren Menschen halten, denen man bloß die Macht anvertrauen und sich dann zurücklehnen kann – sondern die mit dem Menschenbild sind, das dir und allen mehr Mündigkeit, Freiheit und Verantwortungbewusstsein zutraut und verschaffen will. Weil wir die sind, die erkennen, wie Vernetzung und technischer Fortschritt uns auf dem Weg dorthin neue Chancen eröffnen, und dass wir gleichzeitig verhinden müssen, dass wir uns damit stattdessen den Weg in eine freiere und demokratischere Zukunft verbauen. Weil wir die sind, die noch große, idealistische Visionen wagen. Die, die wollen, das unsere Gesellschaft aus Krisen und Phasen des Umbruchs am Ende gestärkt und erneuert hervorgeht, statt sie bloß abzuwenden und die ihnen zugrunde liegenden Veränderungen zu negieren zu versuchen. Weil wir untrennbarer Teil einer internationalen Bewegung von unten sind. Weil die Meritokratie in der Partei langsam, aber doch funktioniert – und unsere Nationalratsliste das bisher mit Abstand beste PiratInnenteam ist bzw. sein wird (sie wird am 22. Juni ergänzt und neu gereiht): Voll mit wirklich guten, engagierten, schlauen, idealistischen Menschen, die im Parlament aber sowas von einen besseren Job machen würden als so manche gesichtslosen ParteisoldatInnen, plumpen PopulistInnen und autoritätshörigen OpportunistInnen, die dort aktuell an den Sesseln kleben und die Welt nicht mehr verstehen.

Die kommende Nationalratswahl wird in jeder Hinsicht der bisherige Höhepunkt auf unserer Reise. Bestes Programm, beste KandidatInnen, beste Strategie, bestes Team –– bestes Ergebnis?

Viele glauben, ich wäre im Bundesvorstand der Piratenpartei, weil ich uns super fände. Das Gegenteil ist der Fall – ich mach das, weil es scheiße und frustrierend ist, wie weit die tägliche, operative Praxis noch unserem grandiosen Potenzial hinterherhinkt und weil ich mithelfen will – nein, muss! – diese Differenz zu überwinden (Verstärkung ist dabei übrigens dringend erwünscht und benötigt!).

Auch wenn wir noch weite Strecken auf allen Vieren unterwegs sind und Rückschläge einstecken müssen, bringt mich das nicht von der Überzeugung ab: Was wir hier bauen, das wird noch richtig, richtig geil.
Eine Unterschrift am Gemeindeamt im Juli wäre ein erster einfacher Schritt, uns dabei zu unterstützen.

Von Null auf Eins

There’s little doubt that going from 0 to 1 is qualitatively different, and almost always harder, than from 1 to n. Any founder or inventor doing something new must wonder: Am I sane? Or am I crazy? –Peter Thiel, Gründer & Investor

Die Kärnter Piraten haben gestern beim allerersten Antritt der Piratenpartei Österreichs zu einer Landtagswahl ein Ergebnis von 1,00% erreicht. Das entspricht 3069 Stimmen.

Ein kurzer Rückblick: Die Landesorganisation Kärnten wurde am 14. September 2012 gegründet – vor weniger als einem halben Jahr. Wie das nun mal ist, wenn sich eine hierarchiearme und basisdemokratische Gemeinschaft zusammenfindet, lief nicht alles von Anfang an konfliktfrei: Noch im Jänner, wenige Wochen vor der Wahl, gab es Krach wegen mangelhaft transparenter Arbeitsweise und wegen des Sponsorings eines esoterischen Projekts. Die vom aufbrandenden “Shitstorm” Betroffenen haben sich daraufhin zurückgezogen oder sind ganz abgesprungen. Eine Finanzierungszusage fiel ins Wasser.

Die Sammlung von 400 Unterstützungserklärungen und die gesamte Wahlkampagne war eine Mordsanstrengung, die von weniger als 25 aktiven Personen getragen wurde. Sie hatten dazu natürlich auch bei weitem weniger Budget zur Verfügung als alle Parteien, deren Ergebnisse besser ausfielen.
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Der große Plan für mediale Aufmerksamkeit, eine Plakatserie, wurde leider durch unvorhersehbare Pannen verhindert bzw. zumindest geschmälert: Der Anbieter konnte nicht liefern, was er versprochen hatte.

Für den ersten Antritt der Piratenpartei zu einer Landtagswahl war ein Bundesland ohne große Städte (Klagenfurt ist erst sechstgrößte Stadt Österreichs) oder Universitäten auserkoren worden, das eine ganz eigenartige politische Vergangenheit hat. Der Grund: Es herrschte Aufbruchsstimmung. Zum politischen Erdrutsch und zur Entmachtung der Korrupten kam es dann auch – bloß war zwischen der (einzigen) Großpartei, die sich nichts zu Schulden kommen ließ, dem wohlverdienten Aufdecker und dem reichen Populisten dann wohl kein Platz mehr für die ebenso engagierten wie unperfekten Piraten.

1percentUnd dennoch hat eine/r von 100 Kärnterinnen und Kärntern die Piraten angekreuzt – in jedem kleinen Ort ein paar. Vier Menschen in Afritz am See. 432 in Villach. 47 in Wernberg/VernberkIn jedem Eisenbahnwaggon fahren Piratenwähler/innen mit. Und bei den Jungen haben wir vielleicht sogar bis zu jede/n 10. erreicht.

Damit kann man die Welt noch nicht verändern, und darum kann man sich noch nix kaufen – leider.
Wenn das so bleibt, haben wir verloren.
Aber nicht, wenn das ein Anfang war.

Beim allergrößten Respekt, den man den Kärntnerinnen und Kärntern für das Ergebnis und ihre Mühen entgegenbringen muss: Vier Mal so gut aufgestellt zu sein, wie wir es gerade sind – das ist nicht nur drin, das muss sogar sein, bevor man daran denken kann, Verantwortung zu übernehmen.
Vier Mal so viele helfende Hände, vier Mal so geschärfte Botschaften, vier Mal so viele sympathische, glaubwürdige und vielfältige Köpfe, die diese Botschaften rüberbringen, ein vier Mal so deutliches Beispiel aus Graz, was PiratInnen in Parlamenten bewirken können, vier Mal so viel An-einem-Strang-ziehen und eine vier Mal so effektive Kampagne.

Das geht. Aber nur, wenn du mitmachst.
Ihre nächsten Anschlüsse:

  • Mach bei unserer Aktion zur Wiener Volksbefragung mit – jetzt sofort online und Donnerstag den 7.3. um 16:30 am Stephansplatz. Und sag’s weiter.
  • Komm am Mittwoch den 6.3. zur Diskussionsveranstaltung darüber, wovon Künstler/innen leben sollen.
  • Komm am 6. und 7. April zu unserem Barcamp in Wien, das unsere Nationalratskampagne einläuten wird. Teile dein Wissen und deine Ideen – man wird dir Gehör schenken. (Ein Veranstaltungsraum wird noch gesucht! Kannst du helfen?)
  • Lass dich Ende Juni bei der nächsten Generalversammlung noch als Nationalratskandidat/in aufstellen. Wenn du dich jetzt einbringst, hast du noch gute Chancen.
  • Werde Mitglied (ab 1 Euro/Monat, deine Daten werden vertraulich behandelt, du kannst unter einem Pseudonym mitmachen). Bring dich online ein oder gründe eine Crew, die autonom an der Erreichung der Ziele der Piraten arbeitet. Du kannst tätig sein, ohne dich der Vereinsmeierei widmen zu müssen.occupy_wall_street_i_love_the_1_percent_tshirt-r5577cd85e923443aa1d65aefab85d1f8_804gy_216
  • Komm bei den sonntäglichen Arbeitstreffen in unserem neuen Parteilokal in Wien Hernals vorbei, oder bei den Treffen anderswo.
  • Hilf uns mit deinen technischen, redaktionellen und gestalterischen Skills, unsere Website zu erneuern und Kampagnen zu entwerfen. Da suche ich ganz dringend Mitstreiter/innen!

Wenn du dazu irgendwelche Fragen hast oder konkrete Ansprechpartner/innen suchst – eine Mail genügt.
Auf dass wir eines Tages beisammensitzen und uns an die Zeit erinnern, als wir erst ein Prozent überzeugt hatten.

Gedanken vom Infostand

Graz im späten November. Drei oder vier mickrige Grad am Thermometer, Flyerstapel in der Hand, sprichwörtliche weiße Weste an.

Infostände sind doof. Nein, die ganze Idee von “Wahlkampf” an sich ist doof. Ich komm mir vor wie ein Versicherungsvertreter. Hier ich in Uniform, Hochglanz-Werbeprospekt in der Hand; dort die Vielbeschäftigten, die ich auf ihren abendlichen Besorgungen störe. Ein lästiges Hindernis auf ihrem Weg von A nach B. B ist bestimmt wichtiger in ihrem Leben als mein Anliegen: Sie zu überzeugen, dass sie bloß noch nicht wissen, dass es auch ihr Anliegen ist.
Ich selbst würd’ da doch nie stehen bleiben. Mir ist kalt. Ich kann das nicht.

Gedanken verdrängen, Mut zusammennehmen, Grinser breiter ziehen.

“Guten Abend! Gehen Sie am Sonntag wählen? Haben Sie schon von den Piraten gehört?”
“Nein danke, ich–– ach, die Piraten? Interessant. Geben Sie mal her.

Junge Menschen nähern sich.
“Hey! Politik ist scheiße, oder?”
Ein Lacher. Das haben sie jetzt nicht erwartet.
“Aber muss das so sein?”

Und dann kommen sie. Die beeindruckende Pensionistin, stets unabhängig aus Überzeugung, die auf ihre alten Tage noch waschechte Piratin werden könnte. Die ganz frisch Wahlberechtigten, die eh schon länger wissen wollten, wie sie denn da mitmachen können. Das Programm hat der eine schon einstudiert – jetzt will er bloß noch wissen, ob ich’s auch aufsagen kann. (Test bestanden, Telefonnummern ausgetauscht.) Der Mensch, der dem ORF einen Beschwerdebrief über die Moderation meines Interviews geschrieben hat. Die junge Dame, die ich oberflächlich sofort in die “Politik-uninteressierte Jugendliche” Schublade gesteckt hätte, die da drüben schon seit einer Viertelstunde den Kandidaten löchert. Der Kommunist, der mit seiner kleinen Tochter verhandelt, ob Papa kurz stehenbleiben und diskutieren darf. (Darf er erst, als er verspricht sie solange auf seinen Arm zu nehmen). Der Sohn der Grünen, der sorgfältig die Rebellion abwägt. Die paar, die gleich zu Knackpunkten kommen: Warum gibt’s so wenig Frauen bei euch?

Klar, viele winken ab. “Bin nicht von hier”, heißt’s aber auch dann weitaus öfter als “Ich weiß schon, was ich wähle”. Offene Ablehnung ist selten: Mitleidvolles Lächeln oder entnervtes Kopfschütteln sind in der Minderheit. Fast alle haben von uns gehört – es überwiegt mehr oder weniger milde neugieriges Interesse.

“Das haben schon viele gesagt” entpuppt sich als häufigste Gegenfrage auf die Versprechungen der Mitbestimmung im elevator pitch, wenn mal jemand lang genug stehen bleibt. (B kann wohl doch warten.) Schnellkurs darin, was im 2-Minuten-Gespräch funktioniert, und was nicht: Das bedingungslose Grundeinkommen ist zu fernab der Lebensrealität, um in diesem Zeitrahmen ernst genommen zu werden. Wie kann man Liquid Democracy noch einfacher ausdrücken? Zu viel Internet kommt nicht gut, das sollt ich weglassen.

Moment – jetzt wird’s ja wirklich Marketing.
Ich ertappe mich bei allzu leeren Phrasen und steige um auf Fragen.

“Was stört dich an Graz?”
“Fühlst du dich von der Politik vertreten?”
“Wie würde sich dein Leben ändern, wenn du 800 Euro im Monat vom Staat bekommen würdest?”

Meine Antwort auf die zynische Gegenfrage, wieviel man denn für’s hier rumstehen bezahlt bekäme – bei uns bekommt natürlich niemand irgendwas – verschafft Respekt. Ich beginne, die “Ich wähl euch eh sicher” mitzuzählen und im Kopf hochzurechnen.
“Danke, dass ihr das machts”, sagt einer, die Daumen nach oben.
Ich glaub, das könnt’ was werden in Graz.

Auf der Heimfahrt – Zeit für ein wenig Online-Wahlkampf – an den Infoständen der Mitbewerber vorbei. So fancy sind wir nicht. Aber doch zu sehr die gleiche Kategorie, für meinen Geschmack.
Ich glaub, das nächste Mal druck ich mir “Politik ist scheiße – aber muss das so sein?” schon auf’s T-Shirt.
Oder doch gleich “Trau keinen Wahlkämpfenden – informier dich schon vorher”?

Wer braucht die Piraten noch? Das ZIB24-Interview jetzt in ultrakurz und extralang

Zu Halloween um Mitternacht durfte ich durch ein Fernsehstudio geistern – hier das Video.

Was ein anonymer YouTuber daraus remixed hat:

Dem Aufruf will ich mich anschließen – mit der folgenden fiktiven Variante des Interviews mit mehr ausreden lassen, nachdenken können, ein bissl weniger Klischees und dafür mehr weiterführenden Links sowie Feedback-Möglichkeit:

Wie es ablaufen hätte können…

Journalist: Auf Ihrem T-Shirt steht: “Leichter gesagt als getan”. Sind Sie Realist?

Pirat: Utopisch in der Zielsetzung, realistisch im täglich zu erwartenden Fortschritt dorthin. Wir versuchen Dinge, die so noch nie zuvor probiert wurden: Wir wagen mehr Demokratie, mehr Transparenz, weniger Hierarchie, den Einsatz ganz neuer technischer Mittel, und so weiter.

Dass wir dabei anfangs ab und zu Fehler machen und auf die Nase fallen, ist zu erwarten. Ohne Risken einzugehen, kann man nichts Neues machen. Wichtig ist, dass wir es schaffen, aus unseren Fehlern zu lernen. Wer sich unsere Entwicklung der letzten Monate genauer ansieht, kann guter Hoffnung sein.


Journalist: Warum machen Sie plötzlich auf Politiker?

Pirat: Wir machen nicht auf Politiker, wir machen Politik – und zwar, weil wir uns von der jetzigen Politik weder vertreten noch verstanden fühlen. Wir sind keine Profis, aber das ist gut so – hinter uns steckt kein reicher Mann, keine Insider-Connection und kein ausgeklügelter Masterplan. Die Piraten sind eine globale Bewegung ehrenamtlich arbeitender Idealistinnen und Idealisten, die die Möglichkeiten und Chancen geänderter gesellschaftlicher und technischer Umstände erkannt haben, die die althergebrachten Parteien immer noch verschlafen.

Oder meinten Sie mich persönlich? Sie haben in Ihrem Beitrag zuvor durchaus einige Dinge angesprochen, die in den letzten Monaten schlecht liefen. Die habe auch ich gesehen, daher bringe ich mich seit dem Sommer möglichst konstruktiv ein. Ärgern und Raunzen bringen niemanden weiter, nur das Bessermachen zählt.


Journalist: Bleiben wir gleich beim Thema Mitmachen. Die große Gefahr ist, dass so viele mitreden, dass am Schluss nur noch Geschwätz herauskommt.

Pirat: Diese Gefahr besteht bei der direkten Demokratie, wo alle bei allem mitreden sollen. Wir setzen aber die Liquid Democracy ein, bei der man sich je nach Kompetenz und Motivation bei unterschiedlichen Themen entweder direkt einbringen oder repräsentativ vertreten lassen kann. In einem wochenlangen, mehrstufigen Prozess kristallisieren sich dabei aus vielen Einzelbeiträgen und Vertrauensbekundungen (Delegationen) die besten Lösungen heraus. Soweit die Vision, der wir uns gerade Schritt für Schritt nähern.


Journalist: Ihr Parteiprogramm ist derzeit beliebig. Da ist für jeden was dabei. Viele Sachen fordern andere auch. Warum soll man Sie wählen?

Pirat: Die Eckpunkte unseres Programms und das dahinterliegende Weltbild sind klar – aber damit ich Ihnen das darlegen kann, müssen Sie mich ausreden lassen.

Wir wollen eine Welt, in der alle Menschen sich frei entfalten und mitbestimmen können.

Wo entfalten? In einer freien Gesellschaft und einer Wirtschaft, die allen gleiche Chancen ermöglicht. Wo mitbestimmen? In einer echten Demokratie, die allen gleiche Macht zusichert und daher keinen Platz für Korruption und den unfairen Einfluss mächtiger Partikularinteressen lässt. Dazu gibt es drei große Vorbedingungen:

  • Sich politisch einbringen und wirtschaftlich frei handeln kann nur, wer sozial abgesichert ist, nicht systematisch benachteiligt wird und nicht um sein Überleben kämpfen muss. Daher verlangen wir ein bedingungsloses Grundeinkommen.
  • Mündig und verantwortungsvoll handelt nur, wer gebildet und informiert ist, daher sehen wir Bildung als Menschenrecht, Transparenz als Grundbedingung und die freie Verbreitung von Wissen und Information als riesige Chance.
  • Möglich macht dies zu einem signifikanten Anteil moderne Technologie, die Menschen vernetzt. Unsere Bürgerrechte in der Informationsgesellschaft sind derzeit unter Beschuss. Wir müssen sicherstellen, dass diese Technologien nicht autoritär gegen die Einzelnen eingesetzt werden – etwa in Form der totalen Überwachung oder der staatlichen oder wirtschaftlichen Zensur –  sondern dass sie ihr transformatives Potential zugunsten aller entfalten können.

Echte Demokratie, garantierte Teilhabe, Bildung für alle und freie Netze – dafür stehen die Piraten. Mit den Grundwerten, die uns zu diesen Kernpunkten geführt haben, bilden wir uns darüber hinaus auch zu allen tagespolitischen Themen eine Meinung.

Würden andere Parteien diese Forderungen auch glaubwürdig erheben, hätten wir Piraten mehr Freizeit – dem ist leider nicht so. Andere Parteien haben viel zu sehr den Fortschritt verschlafen, es sich im Status Quo bequem und sich von Mächtigen abhängig gemacht.


Journalist: Wie soll ein bedingungsloses Grundeinkommen finanzierbar sein?

Pirat: Wir haben Rechnungen angestellt. Die wichtigste Erkenntnis ist: Wie sich die Gesellschaft ändern wird, wenn man nicht mehr arbeiten muss sondern kann, ist das größere offene Fragezeichen als die anfängliche bzw. theoretische Finanzierbarkeit. Daher fordern wir dazu die Durchführung von Feldversuchen und Studien.

Ein Grundeinkommen von 800 Euro monatlich für alle entspricht etwa einem Drittel des BIP. Der Staat schluckt jetzt schon über 50% des BIP – völlig aus der Welt ist diese Größenordnung also nicht. Es entstehen auch signifikante Einsparungen in der Bürokratie.


Journalist: Bürokratiereduktion wollen eh schon alle Parteien seit Jahren, und es funktioniert nicht.

Pirat: Da haben Sie mich falsch verstanden. Ich meinte nicht eine generelle Verwaltungsreform (bei der wir den Fokus übrigens noch vor der Kostenreduktion zuallererst auf Transparenz legen), sondern die konkreten Verwaltungseinsparungen im Sozialsystem, die ein bedingungsloses Grundeinkommen mit sich bringt, wenn viele Sozialleistungen, Bedarfsprüfungen und Arbeitslosenstatistik-Schönungsmethoden wegfallen.

Aber keine Frage: Nur mit Ausgabenkürzungen wird das trotzdem nicht funktionieren. Eines unserer Modelle sieht daher eine Erhöhung der Einkommenssteuer auf gut 50% vor, die aber natürlich bei niedrigen Einkommen durch die 800 BGE-Euro wieder wettgemacht wird. Dazu kommen Kapitalertragssteuern zum gleichen einheitlichen Steuersatz sowie Erbschafts- und Finanztransaktionssteuern.


Journalist: Sie fallen derzeit durch Saufgelage, Schlägereien, Rechtsradikale, gegenseitiges Mobbing und  Zersplitterung auf. Wie soll das besser werden?

Pirat: Uff, das war jetzt ein Bündel aus Falschmeldungen, Vorurteilen, aufgeblasenen Randnotizen und echten Problemen. Lassen Sie mich das mal aufschnüren.

Es gibt und gab keine Rechtsradikalen in der österreichischen Piratenpartei. Solche Ideologien wären mit unseren Grundwerten komplett unvereinbar.

Es gibt auch keine nennenswerte Zersplitterung. Diesen Eindruck erweckten zwei vergangene Vorkommnisse:

  • Die Tiroler Piraten haben es nach einem Streit zweier Hitzköpfe, die beide nicht mehr in den Parteien sind, vorgezogen, sich als autonome Organisation aufzustellen. Das Verhältnis ist jedoch mittlerweile wieder bestens, wir unterstützen einander in allen Belangen.
  • Ein Ex-Vorstandsmitglied fühlte sich zu wenig bauchgepinselt und wollte unbedingt den Oberchef machen, selbst um den Preis, dass die ihm nun stramm unterstehende Partei ihre Generalversammlung problemlos in einer Telefonzelle abhalten kann. Für die Piraten war das kein spürbarer Verlust.

Was es sehr wohl gab und teilweise immer noch gibt, ist sinnloser Streit und öffentlicher Austausch persönlicher Befindlichkeiten. Einerseits war das eine Folge von Fehlbesetzungen diverser Ämter, da es stets zu wenig Kandidaten gab, die Verantwortung übernehmen wollten – so wurde so manche Katze im Sack gekauft, die, daraus entlassen, dann auch mal kratzte. Andererseits macht unsere Transparenz interne Querelen sichtbar, die bei anderen Parteien hinter verschlossenen Türen ablaufen. Wir müssen auf jeden Fall noch an unserer Streitkultur arbeiten – aber die Transparenz an sich empfinden wir insgesamt als Stärke.

Fakt ist: Heute geht es den österreichischen Piraten besser als je zuvor. In den letzten Monaten haben wir Meinungsbildungs- und Programmfindungsprozesse verbindlich in Betrieb genommen, die bereits gleichzeitig demokratischer und effizienter funktionieren als die aller anderen Parteien – dabei sind wir da erst am Anfang. Wir haben in Folge ein täglich wachsendes Programm. Wir haben mehr aktive Mitglieder als jemals zuvor. Wir haben erstmals Landesorganisationen in allen Bundesländern (bzw. in Tirol die Schwesternpartei). Wir treten in einem Monat in Graz erstmal ernsthaft zu Wahlen an. Und wir haben das bisher beste Team an Amtsträgerinnen und Amtsträgern, falls ich das selbst so sagen darf.


Journalist: Im Vorstand sind vier Männer und eine Frau, sie kommen alle aus Wien und Niederösterreich außer dem, der aus Kärten kommt, und das Durchschnittsalter ist 40. Ist das ein Signal an aufgeschlossene junge Wähler? Warum sollte Sie eine junge Tirolerin wählen?

Pirat: Worauf wollen Sie hinaus? Entsprechen wir Ihren Klischeevorstellungen jetzt zu viel, zu wenig, oder beides gleichzeitig? Wir sind für alle offen und machen Politik für alle. An der strukturellen Diskriminierung außer- und innerhalb der Partei, die zum Ungleichgewicht der Geschlechter und anderer Merkmale führt, müssen wir auf jeden Fall noch arbeiten. Das Durchschnittsalter sollten sie aber nochmals nachrechnen


Journalist: Mea culpa. Wieviel bei der nächsten Nationalratswahl?

Pirat: Den Einzug locker schaffen: Das ist die erste Etappe. Dann fängt die Arbeit aber erst richtig an – wir überlegen schon fleißig, wie man auch als kleine Oppositionspartei die Welt ganz konkret verbessern kann.


Journalist: Macht Ihnen Frank Stronach Sorgen?

Pirat: Seine guten Umfragewerte sind ein Zeichen, dass die Leute frustriert sind – das ist verständlich. Aber die Menschen müssen vergleichen: Hier kommt der reiche Onkel aus Übersee und verspricht, alle Probleme zu lösen. Dazu kauft er sich eine BZÖ-Abspaltung aus Opportunisten, die sich bereits Jahre lang im Parlament in Anonymität und Schweigen gehüllt haben sowie durch ihre Tatenlosigkeit geglänzt haben. Das ist nicht glaubwürdig. Die Piraten sind im Gegenzug dazu eine breit aufgestellte, basisdemokratische Bewegung. Es wird nicht funktionieren, auf den großen einzelnen Retter zu hoffen, der alles besser weiß.


Journalist: Was macht Sie da so sicher?

Pirat: Lebenserfahrung bei selbstorganisierten und innovativen Vorhaben im Netz und abseits davon: Die Realisierung, dass vernetzte Menschen gemeinsam Werke vollbringen können, die niemand alleine schafft. Die Erfahrung, dass ein komplexer Plan für eine Neugründung in einer Innovationsbranche (wie sie auch die Politik sein sollte) in der Praxis das Papier nicht wert ist, auf das die hübsche Fantasiewelt gemalt wurde. Die Überzeugung, dass man sich etwas wie “Wahrheit” höchstens iterativ und stets dazulernend annähern kann und alles immer eine unzulässige Vereinfachung bleibt. Das wunderbare Privileg, selbstbestimmt leben zu können. Die Beobachtung, dass Macht korrumpiert und Personenkult irreleitet.


Journalist: Lebenserfahrung hat Frank Stronach auch.

Pirat: Das ist wahr, aber aus welchem Jahrhundert? Als er so alt war wie ich, war die Welt noch eine andere. Er mag Erfahrung haben, wie man von oben herab Dinge bestimmt – wir aber haben Erfahrung, wie man Dinge gemeinsam gleichberechtigt und flexibel organisiert. Politik sollte sich in die Zukunft richten.

Journalist: Das leuchtet ein. Haben Sie ein Mitgliedsformular dabei? ;)

Ich brauche deine Hilfe!

Soeben wurde ich zum Mitglied des Bundesvorstands der Piratenpartei Österreichs gewählt.
Warum mach ich das?

Weil es eine Chance gibt, der Korruption, dem Machtmissbrauch und der Einzementierung des Status Quo durch intransparente, undemokratische, Partikularinteressen vertrende Organisationen – in anderen Worten, dem österreichischen Alltag (EGTUSVM) – glaubwürdig entgegenzuwirken.

Weil es eine Chance gibt, die digitale Revolution endlich in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Recht ankommen zu lassen.

Weil es eine Chance gibt, Menschen unabhängig von ihren angeborenen Privilegien zu befähigen, sich selbstbestimmt und frei entfalten und verwirklichen zu können.
Und alles weitere, was die gestern beschlossenen neuen Grundwerte so umreißen.

Klingt nach Politikergewäsch – ich weiß. So schnell geht das also. Und das Konzept „Parteimitgliedschaft“ ist sowieso total angestaubt – keep your identity small, Unabhängigkeit über alles, und so weiter. Außerdem sind diese Ziele total überambitioniert. Ja, eh. Aber!

Nie zuvor gab es eine Partei, in der die Meinungsbildung und Programmerstellung ausnahmslos mit Liquid Democracy – technisch skalierbar gemachter Basisdemokratie – passiert, und niemals in irgendeinem Hinterzimmer.

Nie zuvor gab es eine Partei, die nicht lediglich von sich behauptet, schlauer und moralisch korrekter als der Mitbewerb zu sein – sondern die an handfesten Transparenz- und Mitbestimmungskonzepten arbeitet, die das System an sich verbessern sollen.

Seit dreißig Jahren gab es keine Partei, die aus einem gesellschaftlichen Umbruch global und bottom-up als waschechte „Graswurzelbewegung“ entstanden ist – und nicht weil irgendjemand einen Masterplan ausheckte, Geld in die Hand nahm bzw. in seinem Netzwerk einsammelte und sich dabei freilich selbst zum Obervorsitzenden ernannte (oder bestenfalls unanzweifelbar wählen ließ).

(Achtung! Jetzt kommt ein noch nicht basisdemokratisch legitimierter, halbdurchdachter Vorschlag von mir.) Niemals zuvor gab es eine Partei, die hoffentlich einen signifikanten Anteil der Parteienfinanzierung in demokratiepolitische Softwareprojekte stecken könnte, um auch ohne Regierungsbeteiligung oder absolute Mehrheit – ja, sogar bei verfehltem Einzug ins Parlament – die Welt ganz konkret zu verändern. 

„Partei“ sind wir der Rückwärtskompatibilität halber – das Wort darf man nicht überbewerten.

Eines ist jedenfalls klar: Es wird eine Mordshacken.

Wir müssen 200.000 Menschen überzeugen, dass wir es ernst meinen, obwohl es sowas früher nicht gegeben hätt’ und da ja jeder kommen könnt’. Wir müssen mit Medien- und Wahlsystemen umgehen, die aus einem anderen Jahrtausend stammen als wir. Wir müssen unser mittlerweile täglich wachsendes Programm priorisieren und auf klare und virale Botschaften herunterbrechen. Wir müssen Kandidaten finden, die unsere Weltanschauung aus purem Idealismus zuverlässig und überzeugend vermitteln können. Wir müssen auf einander besser achtgeben, damit wir dem Status Quo gemeinsam gefährlicher werden können.

Was auch immer du bisher über die österreichischen Piraten gehört haben magst, es braucht ein Update: Es gibt funktionierende Selbstverbesserungsprozesse, und es sah niemals vielversprechender aus.

Wir haben eintausend helfende Hände von über ganz Österreich verteilten Idealistinnen und Idealisten, denen niemand Aussicht auf irgendeinen Posten oder Verdienst gemacht hat.
Es gibt ein paar spannende neue Gesichter im Bundesvorstand: Marlies, die alleinerziehende Mutter, deren Job im öffentlichen Dienst sie schon für mehrere Jahre u.A. nach Serbien, Kuwait und in den Oman geführt hat. Den Mathematik-Dissertanten und Linguistik-Studenten Lukas, der scheinbar Tag und Nacht an Ideen für die Demokratie- und Verwaltungsreform (und überhaupt allem anderen auch) tüftelt. André, den pensionierten Wirtschaftsjournalisten und Schriftsteller mit flinker Zunge aus Koroška.
Weiter dabei ist Rodrigo, der die Katzenherde schon durch so manchen Shitstorm zusammengehalten hat – wenn auch nicht ohne ab und zu auch selbst mal einen loszutreten ;)

Wir gehen mutig die Quadratur aller möglichen Kreise an: Effiziente Basisdemokratie, Technologie die für alle funktioniert, Inhalte vor Köpfen, transparente Taktik, Offenheit ohne Selbstblockade. Diese Ambitionen sind wichtig. Wenn’s am Ende eher abgerundete Rechtecke werden, haben wir auch viel erreicht. Denn wir werden Fehler machen. Mitglieder werden sich in die Haare kriegen. Wichtiges wird auf der Strecke bleiben. Das gehört alles dazu, wenn es zehntausend Dinge gleichzeitig zu tun gibt, die noch nie in dieser Form getan wurden, und dafür grob gerundet null Euro.

Ich habe heute einen Antrag eingebracht, die Rolle, die ich jetzt ausführe, in “Bundeskoordination” umzubenennen. Das sollte verdeutlichen: Es geht hier nicht um eine Machtposition. Der Antrag wurde leider nicht angenommen, aber die Bedeutung bleibt: Ich bestimme nicht, wo’s lang geht. Mir wird’s nicht zu verdanken sein, falls die Piraten den Einzug ins Parlament bei der kommenden Nationalratswahl schaffen.
Das wird uns zu verdanken sein, sobald du auf diesen Link klickst.
Vorsichtig abwarten war gestern. Steck die Apathie weg und mach mit :)

Wenn dir das noch zu scary ist – dann versprich mir bitte wenigstens, mir und uns auf die Finger und über die Schulter zu schauen. Ich werde hier und anderswo laufend berichten. Bitte stell mir die harten Fragen und bohr nach, falls ich Abgründe mit hübschen Worten zu kaschieren versuchen sollte.
Vielleicht musst du anfangs noch ab und zu ein Auge zudrücken oder eine rosarote Brille aufsetzen. Aber fest steht: Ich will nicht möglichst gut den Eindruck erwecken, hier würde das spannendste (wenn auch nicht professionellste) Projekt der österreichischen Politik seit zwanzig Jahren entstehen – die Realität darf den Worten allerspätestens mit kurzer Verzögerung hinterherhinken :)

Ich treff mich sehr gern mit jeder und jedem Interessierten, der/dem ich die Ohren noch ausführlicher vollquatschen darf. Ich schreib auch gern was für deine Schülerzeitung, labere in dein Podcastmikro oder vermittle jemanden, die/der dafür besser geeignet ist. Sag einfach bescheid.

Und noch wichtiger: Frag doch bitte deine Freunde, was sie von all dem halten.

Genug geschwafelt, der Weg ist weit – ich lauf jetzt mal los.
Sehen wir uns bei der ersten Zwischenzeit?

Die Grundwerte der Piratenpartei

Der folgende Entwurf für die Grundwerte der österreichischen Piratenpartei wurde über 3 Monate in einem offenen Prozess verfasst, in einem LQFB-Meinungsbild mit überwältigender Mehrheit befürwortet, und wird bei der Bundesgeneralversammlung am 25.10. hoffentlich als Grundsatzprogramm bestätigt werden. Danke an alle, die mitgemacht haben!

Piratische Politik hat das Ziel, die folgenden Grundwerte in Balance zueinander möglichst arbeits-, ressourcen- und kapitaleffizient, unbürokratisch und für die Betroffenen leicht verständlich umzusetzen:

1. Freiheit
Wir Piratinnen und Piraten stehen für die politische, gesellschaftliche, rechtliche und wirtschaftliche Freiheit jedes einzelnen Menschen, sein Leben so gestalten zu können, wie er es für richtig hält, solange die Freiheit der anderen geachtet wird. Neben der Freiheit von Zwängen, allem voran der freien Bestimmung über den eigenen Körper, gehört dazu auch die aktiv herzustellende Freiheit zur Selbstentfaltung und Teilhabe.

2. Gemeinschaft
Jede und jeder Einzelne profitiert davon, in einer Gesellschaft zu leben, in der es niemandem schlecht geht. Alle Menschen müssen die gleichen Chancen zur Selbstverwirklichung und dasselbe Recht auf Mitbestimmung haben. Plattformen und staatliche Leistungen müssen diskriminierungsfrei und unbestechlich allen zugänglich sein. Positive Errungenschaften sollen nicht auf Kosten anderer erreicht werden.

3. Offenheit
Es kommt der Gemeinschaft zugute, wenn Ideen, Wissen, Meinungen, Kulturgüter und Werkzeuge möglichst uneingeschränkt ausgetauscht und geteilt werden können. In einer offenen Gesellschaft sichern Vielfalt und Heterogenität Fortschritt und Widerstandsfähigkeit – neuen Blickwinkeln und Dissens wird Platz gegeben.

4. Mitbestimmung
Je niedrigschwelliger die Teilnahme in einem System möglich ist und je nachvollziehbarer die Auswirkungen der eigenen Handlungen darin sind, desto produktiver und verantwortungsbewusster werden Menschen daran teilhaben. Machtkonzentrationen stehen wir skeptisch gegenüber. Qualitätsvolle, ausgewogene Lösungen erreichen wir eher, wenn sich alle Menschen beteiligen können – je nach individueller Kompetenz und Interessenslage für verschiedene Themen entweder repräsentativ oder direkt.

5. Mündigkeit
Um mündig, produktiv und verantwortungsbewusst handeln, sich entfalten und teilhaben zu können, bedarf es einiger essenzieller Voraussetzungen: Freiheit von Existenzangst, Bildung in Grundfähigkeiten und dem Umgang mit Grundwerkzeugen, Bewusstsein für offen stehende Möglichkeiten sowie eine umfassend gewahrte Privatsphäre.

6. Transparenz
Korruption und Missstände gedeihen im Verborgenen. Daher muss das Handeln der Verwaltung, aber auch von Organisationen in Gesellschaft und Wirtschaft durchsichtig und überprüfbar werden. Verwaltungsdaten im Interesse der Allgemeinheit müssen frei zugänglich gemacht werden. Die Daten Einzelner genießen hingegen großen Schutz.

7. Veränderung
Technologische und soziale Bedingungen ändern sich schneller als Gesetze und Institutionen. Staatliche Leistungen und Einrichtungen müssen regelmäßig im Lichte geänderter Umstände neu durchdacht und Gesetze auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Eventuelle negative soziale Effekte müssen abgefedert werden, ohne deswegen Veränderung an sich aufzuhalten zu versuchen.

8. Innovation
Kreative Leistungen bringen unsere Gesellschaft weiter. Wir begrüßen Innovation, Effizienzsteigerung und Automatisierung, die unseren Lebensstandard erhöhen, sofern sie den anderen Grundwerten nicht entgegen stehen. Wenn Innovation durch Erhaltungsinteressen unterdrückt wird, muss der Staat für erstere Partei ergreifen. Mit Hilfe des Internets können piratische Grundwerte besser als je zuvor verwirklicht werden. Vernetzte Individuen übernehmen Aufgaben, die bisher zentralistisch oder kommerziell organisiert werden mussten. An diesen Kommunikationstechnologien müssen alle teilhaben können. Ihr Potenzial darf nicht durch regulative Eingriffe beeinträchtigt oder gegen die Freiheit der Einzelnen eingesetzt werden.

9. Mitgefühl
Wir fühlen uns unseren Mitmenschen gegenüber zur Solidarität verpflichtet, unterstützen Schwächere und schützen die Rechte gesellschaftlicher Minderheiten. Wir respektieren alle gleichermaßen, außer jene, die Hass und Intoleranz verbreiten. Missstände suchen wir bei Systemen, bevor wir Individuen verurteilen. Aus Fehlern darf und soll gelernt werden. Gewalt lehnen wir ab, Tierleid wollen wir verhindern.

10. Nachhaltigkeit
Es ist Aufgabe des Staates, die Interessen zukünftiger Generationen schon heute zu vertreten. Wir planen über die nächste Legislaturperiode und die eigene Lebenszeit hinaus und versuchen diese Denkweise generell in der Gesellschaft zu verankern. Jede Handlungsweise, die nicht beliebig wiederholt werden kann, ist nur eine Zwischenlösung, deren Folgen für Ressourcen und Umwelt abgeschätzt werden müssen. Schulden des Staates sind Belastungen unserer Nachkommen – sie dürfen daher nur für wertschöpfende Investitionen, zum Gegensteuern von Konjunkturschwankungen und Krisen und in anderen Ausnahmesituationen aufgenommen werden.

11. Widerstandsfähigkeit
Unsere Gesellschaft und ihre Infrastruktur müssen undemokratischen Angriffen widerstehen können. Totalitären oder extremistischen Tendenzen wird keinerlei Platz gegeben. Organisationen müssen damit umgehen können, dass Macht korrumpiert, und tatsächlich unter Beweis gestellte Fähigkeiten, nicht das bloße erfolgreiche Navigieren von Hierarchien belohnen. Einzelne Unternehmen dürfen keine kritische Systemrelevanz erlangen. Wir schätzen die Widerstandsfähigkeit dezentraler Systeme und bekennen uns zum Subsidiaritätsprinzip.

12. Internationalität
Geographische Grenzen sollen Menschen nicht an ihrer freien Entfaltung hindern. Unsere Gemeinschaft ist global: Fortschritte unserer Gesellschaft sollen nicht auf der Ausbeutung anderer basieren, sondern allen Bewohnerinnen und Bewohnern der Erde zugute kommen. Wir unterstützen weltweit alle, die unsere Prinzipien teilen.

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